Mit kindlichen Aggressionen umgehen

1. Beschreibung der Herausforderung

Hauen, beißen, kratzen, treten – das tun viele Kinder in den ersten Lebensjahren; es ist ganz natürlich. Denn Kinder können ihre Bedürfnisse noch nicht in Worte fassen, deshalb drücken sie sich körperlich aus. Kinder im Alter von 2- 4 Jahren, die teilweise aggressiv sind, sind insofern ganz normal. Je besser Kinder sprechen lernen, desto weniger aggressiv lösen sie Konflikte.

Viele glauben, dass aggressives Verhalten unmittelbar zu Gewalt führt. Das stimmt aber nur bedingt. Hinter Aggressionen und aggressivem Verhalten stecken Gefühle wie z.B. Wut, Trauer, aber auch Freude. Wenn man versucht, diese Aggressionen und aggressive Gefühlsausbrüche den Kindern zu verbieten, kann es sein, dass man sogar gewalttätiges und destruktives Verhalten fördert, da die Kinder so keinen konstruktiven Umgang mit ihren aggressiven Gefühlen entwickeln können. Trotzdem ist es wichtig, dem Kind zu signalisieren, dass es nicht in Ordnung ist, anderen wehzutun. Die Schwierigkeit liegt darin, zu erkennen, ob das aggressive Verhalten eines Kindes noch im ‚normalen‘ Rahmen liegt, oder nicht.

2. Unterschiedliche fachliche Argumente / Bedenken

Es gibt viele Ursachen, die dem aggressiven Verhalten von Kindern zugrunde liegen können: 

Lernt ein Kind, dass sein aggressives Verhalten es zum Erfolg bringt, indem es dadurch die gewünschte Aufmerksamkeit bekommt, die es wollte, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es dieses Verhalten öfter zeigt. Außerdem wird aggressives Verhalten erlernt, wenn das Kind aggressive Vorbilder hat, die es nachahmt. Erfährt ein Kind von klein auf Gewalt durch die Eltern oder andere Vorbilder, denkt es, dieses Verhalten sei richtig.

Gibt es in der Familie Probleme, wenn z.B. Elternteile an psychischen Erkrankungen leiden oder sich die Eltern scheiden lassen, kann sich die Spannung auf die Kinder übertragen. Als Reaktion auf die Frustration, die das Kind erfährt, kann es zu aggressivem Verhalten kommen. Des Weiteren beeinflusst der Erziehungsstil das Verhalten von Kindern stark. Es verunsichert ein Kind sehr, wenn es im Wechsel von übermäßiger Kontrolle und fehlendem konsequenten Handeln aufwächst. Auch diese Unsicherheit kann zu aggressivem Verhalten führen.

Aggressives Verhalten kann auch psychische oder körperliche Ursachen haben. Kinder, die bipolar sind, werden häufig in ihren manischen Phasen aggressiv, da sie die Selbstkontrolle verlieren. Bei Kindern, die ADHS haben, kann Impulsivität und schlechte Entscheidungsfindung zu Verhalten führen, das als aggressiv interpretiert wird. Bei Kindern, die Wahrnehmungsstörungen oder Kommunikationsprobleme haben, kann Aggressivität die Reaktion auf die Frustration sein, ihre Gefühle nicht verbalisieren zu können.

Da es viele verschiedene Ursachen für aggressives Verhalten gibt, sollten also erst die Gründe geklärt werden, warum sich das Kind so verhält. Nur so kann man angemessen auf die Aggressionen eines Kindes reagieren. Jeder Mensch hat den Wunsch, ernstgenommen und gesehen zu werden, auch Kinder. Deshalb ist es wichtig, sich auf die Bedürfnisse und Gefühle der Kinder einzulassen. Hilfreich ist es dazu, Wohlwollen zu zeigen, um zu erkennen, dass das Kind gerade in einer Notlage ist und Hilfe braucht. Außerdem ist es wichtig zuzuhören, was das Kind erzählt und zu sehen, was in dem Kind vorgeht. Man sollte dem Kind Zeit geben und nicht sofort Lösungsvorschläge machen, damit sich das Gefühl verändert, das zu dem Verhalten des Kindes geführt hat.

In Konfliktsituationen ist das 5W-Modell hilfreich, um wertschätzend miteinander umzugehen:

  • Wahrnehmung: Ich beschreibe die Situation aus meiner Sicht, möglichst ruhig, ohne Kritik und Bewertung. Bsp.: „Tom, ich habe gesehen, wie du Lisa getreten hast.“

  • Wirkung: In Ich-Botschaften ausdrücken, was mir wichtig ist bzw. beschreiben, welche Gefühle ich habe. Bsp.: „Ich will nicht, dass du andere haust.“

  • Was bewegt mich? Ich versuche zu entschlüsseln, warum das Kind sich so verhalten hat und ich signalisiere dadurch dem Kind, dass ich mich für es interessiere und es sehe. Bsp.: „Anscheinend hat dich irgendetwas so wütend gemacht, kannst du mir sagen, was das war?“

  • Wertschätzung: Ich drücke in Worten aus, dass Gefühle in Ordnung sind. Bsp.: „Es ist okay, dass du wütend bist.“

  • Wunsch: Ich zeige in Ich-Botschaften und ohne Vorwurf und Kritik, was mir persönlich wichtig ist und ziehe somit klare Grenzen. Bsp.: „Aber ich will nicht, dass du dann andere haust.“

3. Fragen zum Weiterdenken

  • In welchen Situationen zeigen die Kinder in Ihrer Gruppe bzw. Familie aggressive Verhaltensweisen? Gibt es bestimmte Auslöser oder kausale Zusammenhänge?
  • Wie geht man im Team bzw. in der Familie mit Aggressionen um? Wer setzt sich für Verständnis ein, wer für konsequentes Unterbinden des aggressiven Verhaltens? Wie begründen Sie Ihre Haltung?
  • Denken Sie an ein konkretes Kind in Ihrer Einrichtung oder Familie, das regelmäßig aggressives Verhalten zeigt. Wie können Sie das Kind individuell unterstützen, was hilft?
  • Welche Erinnerungen und Gefühle löst aggressives Verhalten von Kindern bei Ihnen aus? Wie gehen Sie selbst mit den eigenen Emotionen um?
  • Vielfach heißt es, dass man sich um aggressive Kinder viel weniger Sorgen machen müsse, als um stille, zurückgezogene Kinder, da sie ein hohes Energielevel haben, dass ihnen später weiterhelfen wird. Was halten Sie von dieser Idee?

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