Gleichbehandlung vs. Individualität
1. Beschreibung der Herausforderung
In Jugendhilfeeinrichtungen ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche das Gefühl haben, dass niemand ausgegrenzt oder bevorzugt wird. Daher ist es von Bedeutung, die Erziehungsmaßnahmen, Regeln usw. für alle gleich zu gestalten bzw. die Kinder und Jugendlichen gleich zu behandeln. Ein Problem kann sich dann herausstellen, wenn es ein Kind gibt, welches zum Beispiel auf Grund einer körperlichen oder geistigen Einschränkung mehr Zuwendung braucht als andere Kinder. Ein weiteres Beispiel für eine Situation könnte sein, dass ein Kind oder ein/e Jugendliche*r im Lernfortschritt weiterentwickelt ist als der Großteil der Gruppe, den es zu fördern gilt. Die Frage ist also, ob bzw. in welchen Fällen man für einzelne Kinder und deren Probleme, Schwächen aber auch Talente, Ausnahmen machen kann und die Kinder ‚anders‘ oder mit mehr Aufmerksamkeit behandelt als die übrigen Kinder der Gruppe. Es kann auch schon in einem viel kleineren Ausmaß beginnen. Ein Kind, welches neu in eine Gruppe aufgenommen wird und zu Beginn mehr von den Betreuenden an die Hand genommen wird, um sich zurecht zu finden, kann bei anderen Kindern ein Gefühl von Eifersucht entstehen lassen.
2. Unterschiedliche fachliche Argumente / Bedenken
In der UN-Kinderrechtskonvention ist festgelegt, dass Kinder ein Recht auf Gleichbehandlung haben, um so einer möglichen Diskriminierung entgegenzuwirken. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, die Individualität eines jeden Kindes zu beachten. Jedes Kind hat seinen eigenen Willen, seine eigenen Bedürfnisse, Begabungen und auch Schwächen. Diese Vielfalt menschlicher Eigenschaften ist positiv hervorzubringen und zu respektieren.
Ein weiterer Punkt ist, dass Gleichbehandlung aller Kinder im Sinne der Inklusion verstanden wäre. Unter Inklusion versteht man, dass sich die Institutionen an die Bedürfnisse aller Menschen ob mit Behinderung, oder ohne, anpassen müssen und Teilhabechancen für Alle ermöglichen müssen. Hierbei muss bedacht werden, dass dadurch Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen sein können, die mehr Hilfebedarf haben, als andere. Es ist dabei ein schmaler Grad zwischen dem Konzept, alle Kinder gleich zu behandeln und trotzdem den möglicherweise besonderen Förderbedarfen oder Problemen der Einzelnen gerecht zu werden. Wenn man Inklusion fördern will, muss man zugleich immer an ‚Diversity‘ (Vielfalt) denken – professionelle Gleichbehandlung erfordert immer auch eine Vielfalt an Wegen und Umwegen.
Aus der Geschichte der Heimerziehung und der Psychiatrie wissen wir, dass Einrichtungen tendenziell dazu neigen, alle Kinder unter das ‚professionelle Regime‘ unterzuordnen. Der Fachbegriff dafür lautete „totale Institution“. Vordergründig wurde das auch damit begründet, dass alle Kinder jederzeit im Blick sein und gleichbehandelt werden sollten. Für Kinder ist es auch heute noch sehr anstrengend, große Teile des Tages in pädagogischen Institutionen (Kita, Schule, Tagesgruppe etc.) zu verbringen. Ihre Freiheit und ihre Individualität sind dadurch tendenziell bedroht. Insofern ist es in Einrichtungen besonders wichtig, Freiheit und Individualität zu berücksichtigen, auch wenn die Gefahr der Ungleichbehandlung dadurch zunimmt.
In den meisten Fällen ist es normal, dass jedes Kind mal mehr und mal weniger Zuwendung und Anerkennung der Erwachsenen erhält; egal ob in einer Einrichtung oder einer Familie. Es ist die Aufgabe der Eltern und Betreuenden, darauf zu achten, dass Zuwendung und Förderung auf Dauer so ausgeglichen wie möglich verteilt werden.
3. Fragen zum Weiterdenken
- Gibt es in ihrer Einrichtung Kinder/ Jugendliche die mehr Hilfebedarf bzw. mehr Aufmerksamkeit bekommen? Ist diese Bevorzugung gerechtfertigt, oder nicht? Warum? Entsteht in diesen Fällen Streit oder Eifersucht innerhalb der Gruppe?
- Was tun Sie, um allen Kindern gleichermaßen gerecht zu werden? Unterscheidet sich ihre Einschätzung in Bezug auf Gleichbehandlung vs. Individualität In Familien und Einrichtungen? Falls Sie selbst Kinder haben, würden Sie sagen, dass alle gleichbehandelt werden?
- Wie kann man trotz Gleichbehandlung die Individualität der Kinder und Jugendlichen nicht nur wahren, sondern auch noch fördern, dass jedes Kind seinen eigenen Weg gehen kann?
4. Lösungsvorschläge
Individuelle Ausnahmen sind immer möglich. Zum Beispiel wenn ein Kind in einer Einrichtung eigentlich mit Aufräumen an der Reihe wäre, aber einen besonders schweren Tag hatte und es ihm nicht gut geht. In solchen Fällen muss man nicht immer auf Gleichbehandlung und Regeln bestehen. Die Ausnahmen müssen allerdings mit Empathie und Begründungen entschieden werden.
5. Material/ Links
https://weg-der-kinderrechte.de/recht-auf-gleichbehandlung
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