Sigrid Tschöpe-Scheffler

„Jede Familie ist anders, jedes Kind ist einzigartig und jede Situation ist einmalig- es kann nicht für alle die eine richtige Form der Erziehung geben“

Sigrid Tschöpe-Scheffler (*1951) ist Erziehungswissenschaftlerin, war bis zu Ihrem Ruhestand Direktorin des Instituts für Kindheit, Jugend und Familie der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften in Köln und arbeitet als Familien- und Erziehungsberaterin, Autorin und Referentin in Deutschland und im Ausland.

Wichtige Ansätze

Sigrid Tschöpe-Scheffler ist eine wichtige Vertreterin des relativ neuen, autoritativen Erziehungsstils und befürwortet eine akzeptierende, liebevolle Begegnung, in der Erwachsene mit Kindern kooperieren, sich aber auch in ihrer elterlichen Präsenz zeigen und Kindern Orientierung geben. Thematisch legt sie ihren Schwerpunkt auf die Familienbildung und die Erziehungsberatung; dabei insbesondere auf die Stärkung der elterlichen Kompetenzen durch Elternkurse.

Sie geht davon aus, dass die Interaktion zwischen Eltern und Kind und die Beziehungsqualität besonders bedeutend für den Erziehungsprozess sind. Das Erziehungsverhalten wird also in erster Linie nicht durch konkrete und allgemeingültige Erziehungsmethoden oder Erziehungsregeln bestimmt, sondern vielmehr durch die grundsätzliche Haltung der handelnden Personen zum Leben, zu den Mitmenschen und zu sich selbst. Das Menschenbild derjenigen, die erziehen, beeinflusst ihre Haltung gegenüber dem Kind sowie das alltägliche Zusammenleben. Daraus resultierend sieht Tschöpe-Scheffler eine Notwendigkeit darin, sich als Eltern immer wieder zu reflektieren und die Situationen, das Kind sowie auch sich selbst immer wieder zu hinterfragen und neu zu interpretieren.

Tschöpe-Scheffler entwickelte das Modell der ‚Fünf Säulen der Erziehung‘, die als Orientierung und als diagnostisches Instrumentarium gesehen werden sollen, um die eigenen elterlichen Stärken wie Liebe, Achtung, Kooperation, Struktur und Förderung aber auch die Folgen elterlicher Überforderung, wie durch Missachtung, Demütigung und seelische Verletzung des Kindes besser wahrnehmen zu können. Sie dienen als Ratgeber und Möglichkeit der Reflexion für Eltern und verfolgen das Ziel, das Selbstwertgefühl sowie die Selbstregulation des Kindes zu stärken und eine Lebensorientierung zu bieten. Die fünf Säulen der Erziehung sollen eine entwicklungsfördernde Erziehung ermöglichen.

Zu den entwicklungsfördernden fünf Säulen der Erziehung gehören Liebe und emotionale Wärme, Achtung und Respekt, Kooperation, Struktur und Verbindlichkeit und die allseitige Förderung. Bei der ersten Säule, Liebe und emotionale Wärme, geht es darum, dem Kind mit echter Anteilnahme zu begegnen, zuzuhören und sich ihm anzunehmen. Dies soll durch Körperkontakt, aufmunterndes Lächeln, Blickkontakt und Trost gelingen. In Bezug auf Achtung und Respekt ist es wichtig, die Individualität des Kindes zu schätzen und Vertrauen in die Fähigkeiten des Kindes zu haben, dass es seinen eigenen Weg geht und Lösungen für seine Bedürfnisse finden kann. Bei der Kooperation steht eine Vermittlung des ‚Miteinanders‘ im Fokus. Es geht um wechselseitiges Verstehen und das Ringen um Verständnis. Das Kind soll an Entscheidungen im Alltag partizipieren, es sollen Gespräche entstehen und Erklärungen gegeben werden. In Bezug auf die Säule der Struktur und Verbindlichkeit betont Tschöpe-Scheffler die Relevanz von Regeln im Erziehungsalltag. Es ist wichtig, dass die im Haushalt geltenden Regeln für alle Mitglieder bekannt und einsichtig sind. Auf das Nichteinhalten von Regeln müssen Konsequenzen folgen. Regeln dienen hierbei nicht nur als Grenzen und Verbote, sondern bieten vielmehr Orientierung und Klarheit im Alltag. Bei der letzten Säule, der allseitigen Förderung, geht es darum, dass die Erwachsenen eine anregungsreiche Umgebung für das Kind schaffen, in der es verschiedene Bereiche wie den der Natur, der Technik, der Wissenschaft und der Religion kennenlernen kann.

Die Erwachsenen ermöglichen den Kindern Erfahrungen auf sinnlicher, motorischer, sprachlicher und interkultureller Ebene. Im Gegenzug zu den fünf entwicklungsfördernden Säulen der Erziehung, stellt Tschöpe-Scheffler fünf ‚Gegenspieler‘ für eine entwicklungshemmende Erziehung auf: die emotionale Kälte/Überhitzung, Missachtung, Dirigismus, Chaos und Beliebigkeit und einseitige (Über-)Forderung und mangelnde Förderung. Diese Gegenspieler stellen wortwörtlich das Gegenteil der Inhalte der fünf Säulen dar.

Nachdenken über Erziehung mit Tschöpe-Scheffler

„Ein wesentliches Kriterium dafür, dass Eltern sich (wieder) ihrer Erziehungsautorität bewusst werden ist, dass sie ihre eigenen Stärken und Schwächen kennen und wissen, welche Werte ihnen persönlich in der Erziehung wichtig sind.“

Sigrid Tschöpe-Scheffler schreibt dem elterlichen Wissen über die eigenen Stärken und Schwächen eine große Bedeutung in der Kindererziehung zu. In Befragungen fand sie heraus, dass es Eltern viel leichter fällt, ihre Schwächen zu benennen als aufzuzählen, was ihnen in der Erziehung gut gelingt. Oftmals schätzen sie ihre Stärken und Ressourcen viel zu gering ein oder nehmen diese gar nicht wahr. Wir fragen Sie daher: Wie können Sie als Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe Eltern dabei unterstützen, sich ihrer Stärken und Schwächen in Bezug auf ihr Erziehungsverhalten bewusst zu werden und wie können Sie bewusst die Stärken in den Fokus rücken? Kann Ihnen der Blick auf Ihre eigenen Stärken und Schwächen als Fachkraft in Ihrem Erziehungsverhalten im professionellen Kontext helfen?

„Es geht nicht darum, Erziehungsregeln aufzustellen, sondern Eltern die Möglichkeit zu geben, ihr Kind, die Situation und sich selbst neu wahrzunehmen“

Laut Tschöpe-Scheffler geht es in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen nicht darum, die perfekte Erziehungsmethode zu finden. Vielmehr ist es wichtig, die eigene Haltung zum Leben, zum Kind und zu sich selbst immer wieder zu reflektieren und in der Bewertung von Situationen und Herausforderungen neue Perspektiven einnehmen zu können. Es ist wichtig, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Kinder individuelle Persönlichkeiten mit eigenen Vorstellungen, Meinungen und Wünschen sind, denen Erwachsene mit Achtung und Respekt zu begegnen haben. Wir fragen Sie: Wie können Sie als Fachkräfte untereinander und mit den Eltern ihr Handeln mit Kindern reflektieren? Welche Möglichkeiten bietet die Einrichtung/der institutionelle Rahmen für einen Austausch? Können Sie gemeinsam mit den Eltern Methoden der Selbstreflexion einüben? Wie könnte ein Perspektivwechsel stattfinden oder erprobt werden?

„In einer anregungsarmen Umgebung wird das Kind zu wenig in seinem Neugier- und Lernverhalten unterstützt und da, wo übertriebene Leistung, Perfektion und das „gut funktionierende“ Kind gefordert werden, kann es zu einer Überforderung kommen.“

Die allseitige Förderung des Kindes stellt eine der Fünf Säulen der Erziehung nach Tschöpe-Scheffler dar. Es geht darum, das Kind in möglichst vielen Bereichen, wie zum Beispiel im Bereich der Technik, der Natur, der Wissenschaft und der Religion zu fördern und Lernmöglichkeiten zu schaffen. Im Gegenzug dazu stellen einseitige Förderungsabsichten und zu wenig Förderung die Gegenpole zu dieser Säule dar und führen zu einer mangelnden Förderung des Kindes. Wie können Sie den Kindern und Jugendlichen in Ihrer Einrichtung Lernangebote in unterschiedlichen Bereichen machen? Wofür interessieren sie sich? Wie können Sie die Interessen der Kinder und Jugendlichen in eine allseitige Förderung aufnehmen?

„Erziehung unter dem Aspekt des Suchens und Fragens betrachtet, ebnet den Weg zu einer dialogischen Erziehung zwischen Eltern und Kindern, durch die ein gemeinsamer Entwicklungsprozess möglich wird.“

Tschöpe-Scheffler sieht eine große Relevanz in der dialogischen Beziehung und Erziehung. Der dialogische Aspekt beschreibt eine besondere Haltung, die geprägt ist durch eine bewusste Aufmerksamkeit sich selbst und dem anderen gegenüber – ein echtes Interesse an den Menschen, von denen man umgeben ist. Die Intention des Dialogs ist es, eine vertrauensvolle Atmosphäre für alle Beteiligten zu schaffen, in der durch Fragen, Zuhören und gegenseitiges Verständnis, gemeinsame Denkprozesse entstehen können. Können und wollen Sie in Ihrer Einrichtung das Konzept einer dialogischen Erziehung durchsetzen? Falls ja, wie können Sie als Fachkräfte dazu beitragen, eine vertrauensvolle Atmosphäre für die Kinder und Jugendlichen zu schaffen? Wie können Sie den Aspekt des Dialogs und seine Intention im Alltag fördern?

Weiterführende Literatur

http://www.familien-mit-zukunft.de/doc/doc_download.cfm?uuid=F5AF50CFC2975CC8AD510822423534D3&IRACER_AUTOLINK

https://dokumente.deae.de/files/forum-eb_2004_Heft_03_Tschoepe-Scheffler.pdf

https://pb-paritaet.de/fachtagungen/dokumente2014/Doku_Tsch%C3%B6pe-Scheffler_Kinderleicht%20August%202014%20(3).pdf

Sigrid Tschöpe-Scheffler: Perfekte Eltern und funktionierende Kinder? Vom Mythos der ‚richtigen‘ Erziehung. Verlag Barbara Budrich (2006)

Sigrid Tschöpe-Scheffler: Familie und Erziehung in der Sozialen Arbeit. Wochenschau-Verlag 2009

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