Grenzen setzen – aber wie?

1. Beschreibung der Herausforderung

Grenzen setzen gehört zum erzieherischen Alltag. Grenzen schränken nicht nur ein und sind daher mit unangenehmen Gefühlen verbunden, sie geben auch Sicherheit und Orientierung.

Warum brauchen Kinder Grenzen? Zum einen schützen Grenzen vor Gefahren. Sowohl im Haus als auch außer Haus können immer wieder Gefahren und Situationen auftreten, die die Einhaltung von Regeln nötig machen. Außerdem können sinnvolle und übersichtliche Regelungen das Zusammenleben einfacher machen und dem Kind Sicherheit geben.

2. Unterschiedliche fachliche Argumente / Bedenken

‚Kinder brauchen Grenzen‘ heißt nicht, dass Erwachsene ihre Wutausbrüche, ihre willkürlichen und unreflektierten Machtdemonstrationen, ihre Übergriffe rechtfertigen mit dem Argument, dass Kinder eben nicht anders lernen. Grenzen aufzeigen heißt, verantwortlich Orientierung geben, wohl überlegt Einhalt gebieten und Kindern Werte und Regeln des Zusammenlebens vorleben und vorgeben mit dem Bewusstsein, dass Grenzen Halt und Sicherheit geben.

Grenzen setzen erfordert aber auch und vor allem Klarheit und Standfestigkeit der Erziehenden. Gerade aus der Verunsicherung darüber, was richtig ist und was nicht, erleben wir heute oft eine große Hilflosigkeit vieler Erwachsenen. Aus Angst davor, die Liebe der Kinder zu verlieren, im Konkurrenzkampf mit anderen Erziehenden oder aus eigener leidvoller Erfahrung mit unsinnigen und nicht angemessenen Grenzen verlieren Erziehende oft die nötige Klarheit und vermeiden Grenzen da, wo sie angebracht sind.

Die Bereitschaft Grenzen zu setzen, bedeutet für die Erziehenden auch den unangenehmen Teil der Erziehung zu übernehmen, sich unter Umständen auch mal unbeliebt zu machen und die Wut und den Ärger der Kinder auszuhalten. In einer Welt, die anscheinend so perfekt ist, in der alles auf Knopfdruck funktioniert, erleben verantwortungsvolle Erziehende gerade bei der Frage des Umgangs mit Grenzen, wie komplex Erziehung ist, wie vielfältig der Alltag mit Kindern ist und wie sehr sie letztendlich als Person gefordert sind.

Je älter Kinder werden, desto größer wird der Drang, die noch unbekannte ‚Erwachsenenwelt‘ kennen zu lernen. Die Wissbegierde, Phantasie und Kreativität des Kindes will nun anders befriedigt werden als bisher. Das Kind will ohne Kontrolle entdecken, erobern, Grenzen kennen lernen und für sich finden. Das ist nicht nur normal, es ist lebensnotwendig. Nur so kann ein Kind im Umgang mit der Welt eine Sicherheit entwickeln, die es braucht, um sich später in der Erwachsenenwelt zu behaupten. Das gehört zu seiner Identitätsfindung dazu.

Kinder brauchen Unterstützung und gleichzeitig auch Grenzen, die sie gesetzt bekommen. Erziehende müssen nicht alles tolerieren. Wenn sie in allem nachgeben oder sich raushalten, entsteht bei dem Kind irgendwann der Eindruck, dass ihnen alles egal ist. Durch Grenzsetzung erhalten Kinder die Botschaft „Es kümmert sich jemand um mich, ich bin jemandem wichtig“. Trotzdem kann man sich sicher sein, dass Kinder immer wieder gegen die ihnen gezogenen Grenzen angehen werden. Aber genau die Möglichkeit brauchen sie auch. Im Überschreiten der Grenzen werden diese kennengelernt. Das Kind erfährt, wo sie beweglich und unausdehnbar sind. Es lernt, bestimmte Grenzen anzuerkennen und andere als unnötige, sinnlose Beschränkung zu betrachten.

3. Fragen zum Weiterdenken

  • In der populären Ratgeberliteratur sprechen sich aktuell die meisten Erziehungsexpert*innen dafür aus, Kindern früher, deutlicher und stärker Grenzen aufzuzeigen. Wie sehen Sie das in Bezug auf Ihre Familie oder die Gruppe, in der Sie arbeiten? Nehmen sich die Erwachsenen zu sehr zurück beim Grenzen setzen?
  • Welche Grenzen sind Ihnen persönlich besonders wichtig? Welche Werte und Grundorientierungen stecken bei Ihnen dahinter?
  • Versetzen Sie sich bitte einmal in die Kinder Ihrer Tages- oder Wohngruppe bzw. einer konkreten Familie? Welche aktuell vorfindlichen Grenzen helfen diesem Kind und welche behindern es? Welche sollte man stärker betonen? 
  • Mit welchen Grenzen sind Sie aufgewachsen und welche gab es (noch) nicht? Wie haben Sie Grenzen erlebt und gegen welche Grenzen sind Sie angegangen? Welche Art von Grenzsetzungen konnten Sie als Kind gut haben?

4. Material/ Links

BERGMANN, Wolfgang, 2012. Disziplin ohne Angst: Wie wir den Respekt unserer Kinder gewinnen und ihr Vertrauen nicht verlieren. Neuausgabe mit neuem Einband. Weinheim: Beltz

DRERUP, Johannes, 2019. Handbuch Philosophie der Kindheit. [1. Auflage]. Stuttgart: J.B. Metzler Verlag

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