Schulbesuch

1. Beschreibung der Herausforderung

Der tägliche Schulbesuch ist für manche Kinder ein selbstverständliches Ritual, für andere hingegen eine echte Herausforderung. Für Familien oder auch für Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe kann der Schulbesuch der Kinder eine stark konfliktbehaftete Alltagssituation sein.

In Deutschland besteht bis zur neunten, beziehungsweise zehnten Klasse eine allgemeine Schulpflicht, die dazu führt, dass Kinder und Jugendliche nicht wählen können, ob sie am Schulunterricht teilnehmen wollen oder nicht. Eine Schulverweigerung ist sogar eine Ordnungswidrigkeit. Sie kann (je nach Ursache) mit einem Bußgeld geahndet werden – hierbei tragen bis zum 14. Lebensjahr die Eltern der Kinder die Verantwortung für die Anwesenheit im Unterricht. Der Schulalltag unterliegt strengen Rahmenbedingungen: Ein Curriculum schreibt vor, welche Inhalte den Kindern in welchem Schulfach vermittelt werden müssen und die Leistung der Schüler*innen wird anhand von Noten gemessen – Spielräume für Flexibilität und Individualität sind kaum gegeben.

Viele Kinder und Jugendliche gehen gerne zur Schule. Neben der Möglichkeit, Neues zu erlernen, stellt auch der soziale Aspekt einen besonderen Anreiz dar, denn viele kindliche Freundschaften sowie Peer Groups finden und bilden sich im Schulkontext. Auf der anderen Seite gibt es Kinder, die Schwierigkeiten haben, in der Schule Anschluss zu finden, sei es den Lernstoff oder aber das soziale Umfeld betreffend – und so kann der alltägliche Schulbesuch nicht selten zur Qual werden. Wenn Kinder merken, dass sie den Leistungsanforderungen der Schule nicht gerecht werden können oder aber wenn sie Schwierigkeiten haben, Freunde zu finden, kann sogar eine Schulangst entstehen, die sich bis hin zur massiven Schulverweigerung bzw. zum Schulabsentismus entwickeln kann.

Die Schule bietet eine Vielzahl an Unterrichtsfächern, die Kinder und Jugendliche in den unterschiedlichsten Bereichen fördern aber auch fordern. Aber nicht jedes Fach ist für jedes Kind gleich interessant – oft wird dann der Sinn des Lernens hinterfragt und die Eigenmotivation sowie die Lernbereitschaft sinken. Außerdem ist es normal, dass (in der Regel) nicht jedes Schulfach mit gleichem Erfolg bewältigt werden kann. Mit der Zeit filtert sich meist heraus, welche Fächer den Kindern/Jugendlichen besonders gut liegen und in welchen gegebenenfalls ein Förderbedarf besteht. Für die Kinder/Jugendlichen selbst besteht die Gefahr, dass aufgrund mangelnder Leistung Minderwertigkeitsgefühle entstehen und ein Leistungsdruck auf ihnen lastet. Dieser kann sowohl ein Antrieb aber oftmals auch eine Hemmung für die Schul- und Lernmotivation sein.

2. Unterschiedliche fachliche Argumente / Bedenken

Man könnte meinen, dass die schulische Ausbildung eines Kindes – im Hinblick auf die Schulpflicht – in einem Zwangskontext stattfindet, denn ab dem sechsten Lebensjahr ist ein Kind verpflichtet, den Schulunterricht zu besuchen. Doch gleichzeitig kann der Schulbesuch auch als ein Recht angesehen werden – ein Recht auf Bildung, das jedem Menschen zu Gute kommt und das unwiderruflich und wertvoll ist. Der Schulbesuch ist wichtig für die Entwicklung eines jeden Menschen – hier werden Grundkenntnisse vermittelt, die von der Gesellschaft vorausgesetzt werden. Der Schulbesuch fördert das Potential der Kinder und kann als Sprungbrett für die weitere berufliche Laufbahn und als Tor zur Teilhabe an der Gesellschaft dienen.

Kinder und Jugendliche haben in der Schule die Möglichkeit, in vielen unterschiedlichen Bereichen und Fächern allseitig gefördert zu werden. Der Nachteil: Die Fächer sind festgelegt und auch die Lehrinhalte werden durch ein Curriculum fremdbestimmt – die Kinder haben keine, beziehungsweise kaum Möglichkeiten der Mitbestimmung. So wird die individuelle Förderung von Kindern außer Acht gelassen und individuelle Kompetenzen und kindliche Interessen werden weder gehört noch gestärkt. Durch das vorbestimmte Curriculum, das nicht auf die individuellen Stärken eines Kindes eingeht, besteht die Gefahr, dass beim Kind übermäßige Minderwertigkeitsgefühle entstehen, wenn die vorgegebenen und erwarteten Leistungen nicht erfüllt werden. Durch die Leistungserwartungen entsteht ein Druck des Erfolgs und eine notenfixierte Erwartungshaltung bei den Kindern. Dabei ist es – anlehnend an das psychosoziale Entwicklungsmodell von Erikson – wichtig, dass Kinder in der Schulzeit Erfolgserlebnisse haben und in ihrem eigenmotivierten Werksinn gestärkt werden.

Das kann durchaus positiv gesehen werden – denn in Deutschland leben wir in einer individualistischen Kultur, in der Leistung und Autonomie wertgeschätzt werden. Es wird wertgeschätzt, wenn man sich als Individuum von anderen abgrenzen sowie herausstechen kann.  Lob wird überwiegend für Leistung und Verhalten ausgesprochen. Kinder beziehen dieses Lob schnell auf ihren eigenen Wert und können dadurch in ihrem Selbstwertgefühl gehemmt werden. Man könnte also sagen, dass Kinder und Jugendliche durch die Notenvergabe im Schulkontext darauf vorbereitet werden, in dieser individualistischen Kultur zu bestehen und sich daran zu gewöhnen, dass ihre Leistung nicht nur in der Schule, sondern auch darüber hinaus im beruflichen Kontext, bewertet wird. Schon zum Ende der Grundschule hin werden die Kinder anhand ihrer Leistung- in Form von Noten -den unterschiedlichen weiterführenden Schulformen zugeteilt, wodurch eine (unbewusste) gesellschaftliche Stigmatisierung vorgenommen wird. Je nach Schulform werden Kinder als fleißig, wissbegierig und motiviert oder aber als faul und leistungsschwach gesehen. Durch Vorurteile und Stigmatisierungen wird den Kindern anhand der zugeteilten Schulform ein bestimmter und für sie wahrscheinlicher weiterer schulischer sowie beruflicher Werdegang vorausgesagt. Im Gegensatz dazu gibt es jedoch auch Schulformen, die eine Benotung von Kindern und Jugendlichen (meist bis zur Oberstufe) strikt ablehnen, wie zum Beispiel einige Montessorischulen oder aber Waldorfschulen.

Wenn der Schulbesuch bei Kindern und Jugendlichen zu einer angstbehafteten Situation wird, führt es häufig dazu, dass die Teilnahme am Unterricht verweigert wird. Einrichtungen und auch Familien gehen unterschiedlich mit Schulverweigerungen um. So kommt es vor, dass Kinder regelrecht gezwungen werden trotz ihrer Ängste in die Schule zu gehen, weil ihnen sonst Konsequenzen wie beispielsweise Hausarrest oder Fernsehverbot drohen. Andererseits gibt es auch Eltern/Einrichtungen, die nachsichtig sind und den Kindern schneller genehmigen, dann und wann vom Schulunterricht fern zu bleiben und dies entschuldigen.

Fragen zum Weiterdenken

  • Wenn Sie an Ihre Schulzeit zurückdenken, welche Gedanken kommen Ihnen? Welche positiven/negativen Erfahrungen haben Sie gemacht? Kann es sein, dass Sie selbst und Ihr Team Teil des Problems sind, weil sie entweder zu wenig Verständnis für Schulverweigerung aufbringen oder aber die Bildungsmöglichkeiten in der Schule nicht so wichtig finden?
  • Wie bewerten Sie selbst das Benotungssystem und den Leistungsdruck in Schulen? Wie können Sie in Ihrer Wohn-/Tagesgruppe Kinder unterstützen, die aufgrund schlechter Noten Minderwertigkeitsgefühle erleben?
  • Wie unterstützen Sie Kinder, die unter Schulangst leiden? Wie gehen Sie mit Schulverweigerung in der Familie/in der Einrichtung um und was würden Sie gerne anders machen?

4. Lösungsvorschläge

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