Reinhart Wolff

„Wir wollen einen Menschen erziehen, der schon immer selbst etwas ist, der eigene Kräfte hat und Bedürfnisse.“

Reinhart Wolff (* 20. Oktober 1939)
Erziehungswissenschaftler und Soziologe. Mitbegründer der antiautoritären Kinderladenbewegung, „Begründer des modernen Kinderschutzes“

Wichtige Ansätze

Reinhart Wolffs Schwerpunkte liegen in der Jugendhilfe und dem Kinderschutz. Mit Geburt seines ersten Sohnes noch während seines Studiums der Erziehungswissenschaft, stellte sich ihm bald die Frage der Kinderbetreuung, da er wie viele andere junge Eltern die damaligen Kindergärten mit ihrer autoritären Pädagogik – und Gewalt! – ablehnte. Daher gründete er im Jahr 1968 gemeinsam mit einer Gruppe von Eltern die ersten Kinderläden in Berlin. In den Kinderläden sollten die Kinder antiautoritär erzogen werden.

Antiautoritäre Erziehung entspricht entgegen der weit verbreiteten Meinung nicht dem Erziehungsstil des  ‚Laissez-faire‘ (vernachlässigender Erziehungsstil). Viel mehr gehen Vertreter*innen der antiautoritären Erziehung davon aus, dass ein Kind ohne Erziehung nicht richtig aufwachsen kann und es daher bei seiner Entwicklung unterstützt werden muss.

Reinhart Wolff nimmt darüber hinaus an, dass Erziehung vor allem daraus besteht, einen ‚Sozialen Ort‘ zu schaffen, an dem Kinder sich entwickeln können. Bei antiautoritärer Erziehung wird darauf verzichtet, dem Kind einen vorgeschriebenen Plan vorzulegen, der befolgt werden muss. Stattdessen soll erst einmal beobachtet werden, was das Kind selbst vorhat, was es von alleine exploriert. Dadurch entstehe ein lebendiger Alltag. Somit soll Erziehung repressionsfrei gestaltet werden, damit die Kinder eine Möglichkeit haben, selbst auf die Umwelt einzugehen und sich mit dieser auseinanderzusetzen. Nur durch die Auseinandersetzung mit der Umwelt entwickelt sich ein Kind. Der Auftrag der Erziehenden ist es daher, die Kinder in diesem Prozess zu unterstützen.

In der antiautoritären Erziehung wird Erziehung nicht als Vorschreiben von Regeln, Normen und Werten gesehen, sondern als Hilfe zur Entfaltung des Kindes. Dabei ist es wichtig, dass zwischen Eltern und Kind kein Machtgefälle herrscht.

Obwohl den Kindern nicht permanent vorgeschrieben werden soll, was sie zu tun haben, sollen sie dennoch zu solidarischem Miteinander angeregt und ihre Konflikte gemeinsam gelöst werden. In diesem Prozess der Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt, erlebt auch der/die Erzieher*in selbst eine Erziehung.

Reinhart Wolffs Bild des Kindes ist angelehnt an Montessoris Verständnis vom Kind. Es wird davon ausgegangen „Kinder [seien] anders“. Das Kind sei ein Mensch mit eigenen Kräften und Möglichkeiten, der zwar bedürftig ist, aber auch ein Stück weit selbstständig – ein Kind als schöpferischer Akteur. Somit werden die vorhandenen Ressourcen des Kindes genutzt und von den Erziehenden unterstützend geformt.

Reinhart Wolff formulierte einige wichtige Ideen und Methoden für die antiautoritäre Erziehung. Für ihn ist es wichtig, eine tragfähige Beziehung mit dem Kind aufzubauen, es mit einzubinden, statt es auszugrenzen. Außerdem hält er es für sinnvoller, dem Kind Hilfe anzubieten, statt es zu überwachen oder gar selbst einzugreifen. Die Erziehenden sollten versuchen, das Kind zu verstehen, anstatt es direkt zu verurteilen und eine bloße Strafaktion auf ein Fehlverhalten folgen zu lassen.

Zusammenfassend äußert Reinhart Wolff Kritik an den Erziehungspraxen der Devianzklassifizierung (Zuschreiben von Entwicklungsstörungen), der Manipulation und des Straf- beziehungsweise Kontrolldrucks. Stattdessen plädiert er für solidarischen, flexiblen Kontakt, viel Aufmerksamkeit und Ambivalenztoleranz.

Nachdenken über Erziehung mit Wolff

„Wir wollen erziehen, d.h. wir wollen einen Menschen beeinflussen, der etwas werden soll: arbeits- und liebesfähig, kritisch und produktiv, selbstständig und sozial.“

Reinhart Wolff zählt zu den bekanntesten Vertretern der sogenannten 68er-Bewegung, in welcher gegen starre gesellschaftliche Strukturen, den Vietnamkrieg, die rigide Sexualmoral und die Nichtaufarbeitung des Nationalsozialismus protestiert wurde. Dies spiegelt sich auch in seinen Ansichten über Erziehung wieder. Kinder sollen nicht die Meinung der Erziehenden gelehrt bekommen, sondern zu kritischem Denken und eigenen Meinungen erzogen werden.

„Wir wollen einen Menschen erziehen, der schon immer selbst etwas ist, der eigene Kräfte hat und Bedürfnisse: sich und seine Umwelt zu begreifen und zu umgreifen und zu verändern und Hunger zu haben: nach Essen und Trinken, nach Erfahrungen und Gedanken, nach Beziehungen.“

Reinhart Wolff bezieht sich häufig auf Siegfried Bernfeld, welcher der Überzeugung ist, dass Erziehung notwendig ist, damit ein Kind sich entwickelt. Ohne eine(n) Erzieher*in wäre das Kind in seinen ersten Lebensjahren nicht lebensfähig. Dennoch spricht Wolff dem Kind von vorneherein zu, eine eigene Meinung haben zu dürfen, Interessen zu haben und eigene Entscheidungen treffen zu können.

Weiterführende Literatur

Reinhart Wolff (2010): Von der Konfrontation zum Dialog: Kindesmisshandlung – Kinderschutz – Qualitätsentwicklung. Köln: Die Kinderschutz-Zentren.

Reinhart Wolff (1999): Die Kinderladenbewegung als Wurzel moderner Kindertageserziehung. In: Becker, U. / Herrmann, A. und Stanek, M. (Hrsg.): Chaos und Entwicklung. Theorie und Praxis psychoanalytisch orientierter sozialer Arbeit. Gießen: Psychosozial-Verlag

Reinhart Wolff (1975):  Lebensumstände und Erziehung: Grundfragen der Sozialisationsforschung. Frankfurt/M.: Verlag Roter Stern.

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