Erziehungspartnerschaft zwischen Eltern und Fachkräften
1. Beschreibung der Herausforderung
Erziehungspartnerschaft bezeichnet die partnerschaftliche Zusammenarbeit („auf Augenhöhe“) zwischen den Fachkräften einer pädagogischen Einrichtung und den Eltern. Neben den Eltern können hier auch andere wesentliche Bezugspersonen des Kindes/Jugendlichen miteinbezogen werden. In Abgrenzung zum Begriff der ‚Elternarbeit‘ deutet der Begriff der Erziehungspartnerschaft darauf hin, dass in der Zusammenarbeit mit Eltern eine offenere, mehrseitigere und gleichberechtigtere Beziehung gestaltet werden soll, als dies traditionell der Fall ist. Gerade im Bereich der Hilfen zur Erziehung wurden Eltern früher einseitig als ‚gescheitert‘, ‚überfordert‘ oder ‚unfähig‘ betrachtet und bewertet. Die Elternarbeit – wenn sie überhaupt ernsthaft betrieben wurde – war insofern darauf ausgerichtet, dass die Fachkräfte ‚mit den Eltern arbeiten‘.
Die neuerdings vorgeschlagene Leitorientierung in der Zusammenarbeit als Partnerschaft basiert auf der Tatsache, dass sowohl die Fachkräfte als auch die Eltern die Kinder sehr gut kennen und jeweils Expert*innen für bestimmte Themen sind, die die Kinder und Jugendlichen betreffen. Deswegen ist der Austausch von jeglichen Informationen eine wichtige Grundlage für eine gelingende Zusammenarbeit
Eine weitere Grundlage ist ein ehrlicher und vertrauensvoller Dialog. Beide Parteien können unterschiedliche Grundhaltungen zu verschiedensten Themen haben. Um sich nicht in Konflikten und Schuldzuweisungen zu verlieren, ist ein regelmäßiger Austausch, geprägt von Anerkennung, Verständnis und Vertrauen wichtig. Eine Erziehungspartnerschaft soll die Erziehungskompetenz der Eltern fördern und braucht dafür viel Zeit und die nötige Qualifikation und permanente Reflexion auf Seiten der Fachkräfte.
Eine Herausforderung besteht darin, dass das Kind zwischen den beiden Systemen Familie und Wohngruppe/Tagesgruppe steht. Herrscht kein adäquater Austausch, fungiert das Kind möglicherweise als Sprachrohr, was besonders in Konfliktsituationen eine belastende Situation darstellen kann und nicht die Aufgabe des Kindes/Jugendlichen ist.
2. Unterschiedliche fachliche Argumente/ Bedenken
Systemtheoretische Perspektive:
Wird die Familie als System verstanden, müssen die Klient*innen im Kontext ihres familiären Umfeldes gesehen werden, da sich die Verhaltensweisen einzelner Mitglieder des Systems wechselseitig beeinflussen. Ändern sich Verhaltensweisen bei einem Kind/Jugendlichen beispielsweise in der Heimerziehung, muss die Familie mit einbezogen werden, um dem Kind/Jugendlichen zu ermöglichen, sein Verhalten auch in diesem Kontext übernehmen zu können. Zudem wurde zwischenzeitlich das System Familie durch die ‚Einmischung‘ des Jugendamtes und ggf. eine eigenständige ambulante Hilfe bewegt und es muss sich, gebunden an die neue Situation, erneut ein Gleichgewicht herstellen. Dieser Prozess kann durch intensive Zusammenarbeit in Form einer Erziehungspartnerschaft ermöglicht und erleichtert werden.
Psychoanalytische Perspektive:
Betrachtet man die Problematiken von Kindern und Jugendlichen, müssen immer auch die Eltern, die die Kinder und Jugendliche in frühester Kindheit geprägt haben, betrachtet werden. Damit die Kinder und Jugendlichen Konflikte und problematische Erfahrungen verarbeiten können, müssen die daran beteiligten Personen hinzugezogen werden, dies können auch Eltern sein. Zur Bearbeitung dieser Konflikte und Problemlagen mit Kindern/Jugendlichen und Eltern ist eine Vertrauensbasis nicht nur zwischen Fachkräften und Kindern/Jugendlichen, sondern auch zwischen Fachkräften und Eltern notwendig, um eine offene und ehrliche Kommunikation zu ermöglichen.
Ökonomische Perspektive:
Auch aus ökonomischer Sicht ist eine gelingende Zusammenarbeit von Eltern und Fachkräften wichtig. Viele Angebote der Hilfen zur Erziehung , sind sehr kostenintensiv. Durch intensive und kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen Fachkräften und Eltern kann in einzelnen Fällen die Dauer der Inanspruchnahme der Hilfe, oder die Intensität der Hilfe verringert werden, da die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt werden. Hierzu braucht es eine stabile, auf Vertrauen basierende Beziehung auf Augenhöhe zwischen Fachkräften und Eltern.
Rechtliche Perspektive:
Die Erziehung des eigenen Kindes ist laut Artikel 6 Grundgesetz die Pflicht und das natürliche Recht eines jeden Elternteils. Solange das Sorgerecht bei den Eltern liegt haben Eltern auch dann starke Rechte, wenn ihr Kind in einer Tages- oder Wohngruppe lebt. So haben sie z.B. das Recht, bei allen grundlegenden Fragen der Erziehung (z.B. Schulwechsel oder Gruppenwechsel) letztlich zu entscheiden. Dieses Recht der Eltern kann von ihnen nur dann sinnvoll wahrgenommen werden, wenn Fachkräfte und Eltern sich intensiv und regelmäßig austauschen und Entscheidungen gemeinsam treffen.
3. Fragen zum Weiterdenken
- Inwieweit würden Sie als Fachkräfte oder Eltern ihre Zusammenarbeit bereits als Erziehungspartnerschaft verstehen und bezeichnen? Arbeiten Sie intensiv gemeinsam daran, dass die Zusammenarbeit partnerschaftlich geprägt ist? Was können Sie tun, um das Vertrauen zwischen Ihnen und den Eltern der Klient*innen zu stärken?
- Welche konkreten Herausforderungen sehen Sie als Fachkräfte in der Erziehungspartnerschaft in Bezug auf Ihre Einrichtung? Gibt es Situationen, in denen die Zusammenarbeit von Eltern und Fachkräften dadurch erschwert wird, dass sie den Anspruch haben, es solle sich um eine Erziehungspartnerschaft handeln? Wie werden in der Erziehungspartnerschaft Meinungsverschiedenheiten und Konflikte bearbeitet?
- Haben Sie bereits Fälle erlebt, in denen es Ihnen nicht möglich war, eine Erziehungspartnerschaft zu den Eltern aufzubauen? Wenn ja, was waren Ihrer Auffassung nach die Gründe dafür?
4. Lösungsvorschläge
Der Aufbau einer Erziehungspartnerschaft ist – gerade zu Beginn einer Hilfe zur Erziehung – auf intensive Kommunikation angewiesen. Fachkräfte können, um den regelmäßigen Austausch zu gewährleisten, beispielsweise am Anfang eines Monats feste Termine für Gespräche und Telefonate mit den Eltern ausmachen, so dass dort Informationen bezüglich der aktuellen Lage, Besuchsterminen, etc. besprochen werden können. Für Tages- und Wohngruppen werden bereits Apps entwickelt, mit denen die Kommunikation mit den Eltern deutlich intensiviert werden kann.
Um regelmäßig Feedback zu geben und zu bekommen, könnten auch dafür feste Termine für Reflexionsgespräche in regelmäßigen Abständen mit den Eltern vereinbart werden.
Bei Gesprächen mit den Eltern kann beispielsweise durch eine ansprechende Gestaltung des Raumes für eine angenehmen Atmosphäre gesorgt werden, sodass sich die Eltern wohlfühlen.
Die Zusammenarbeit im Rahmen einer Erziehungspartnerschaft ist darauf angewiesen, dass alle Partner*innen ihre Ressourcen einbringen können. Es muss gemeinsam überlegt werden, wie Eltern in Tages- und Wohngruppen ihre persönlichen Stärken einbringen können, z.B. im Alltag, bei Projekten, Ausflügen etc.
Transparenz und Ehrlichkeit sind die Basis zur Entstehung einer gelingenden Erziehungspartnerschaft. Je offener mit eigenen Fehlern umgegangen und gegenseitig Anerkennung vermittelt wird, desto eher kann man einen tatsächlich partnerschaftlichen Austausch auf Augenhöhe erwarten.
5. Material/ Links
Kooperation mit Eltern in der Kinder- und Jugendhilfe: Gelingende Zusammenarbeit mit Eltern als Erfolgsfaktor (2015); Björn Mundinger, Pascal Brenner; Hamburg: Diplomica Verlag
Elternarbeit als Erziehungspartnerschaft (2018); Hans Dusolt; Weinheim: Beltz Verlagsgruppe
Das Ideal der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft (2015); Tanja Betz; Gütersloh: Bertelsmann Stiftung
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