Übergänge unterstützen und gemeinsam gestalten
1. Beschreibung der Herausforderung
Kinder und Jugendliche werden größer und kommen in Betreuungseinrichtungen und später in die Schule. Neue Abläufe werden erforderlich, Ängste und Unsicherheiten können dabei auftreten. Dieser Schritt der Veränderung wird als Übergang bezeichnet. Ein Übergang ist eine Zeit verstärkter Anforderung und intensiver Entwicklung, kann als kritische Lebensphase gesehen werden, bedeutet verstärkten Einsatz von Energie, um diesen Schritt zu bewerkstelligen, bedeutet das Lernen von neuen Verhaltensweisen und beinhaltet Chancen, ist aber auch eine Herausforderung für alle Beteiligten.
Die erfolgreiche Bewältigung von Übergängen ist als Prozess zu verstehen, der von allen am Übergang Beteiligten koproduktiv zu leisten ist. Gute pädagogische Einrichtungen haben Konzepte entwickelt, damit Übergänge gelingen; z.B. Eingewöhnungskonzepte in der Kita oder Konzepte für die Gestaltung des Aufnahmeprozesses in der Tages-/Wohngruppe.
Wenn mehrere Übergänge gleichzeitig bewältigt werden müssen, steigt das Risiko der Überforderung. Gelingt ein Übergang nicht, sind Probleme bei der Bewältigung weiterer und nachfolgender Übergänge zu befürchten. Wenn z.B. ein Kind in einem Sportverein angemeldet wird und dort nicht wirklich ‚ankommt‘, also sich unwohl fühlt oder sich sogleich in übertriebene Konkurrenzkämpfe verwickelt, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass dies in weiteren Vereinen in ähnlicher Weise passiert, wenn das Kind bei den Übergängen nicht begleitet wird.
Ob Übergänge erfolgreich gemeistert werden, hängt also auch vom Handeln der Fachkräfte und Eltern ab. Hierbei ist besonders zu beachten, dass jeder Übergang individuell ausfällt und zu gestalten ist, da jeder Übergang durch Wechselwirkungen von (verschiedenen) Umwelteinflüssen und individueller Entwicklung gekennzeichnet ist.
2. Unterschiedliche fachliche Argumente / Bedenken
Die Bedeutung von Übergängen im Leben von Kindern und Jugendlichen wurde seit den 1980er Jahren besonders von der ökologischen Sozialisationsforschung thematisiert – der wichtigste Autor ist der amerikanische Psychologe Urie Bronfenbrenner. In der Sozialpädagogik, aber auch in der Entwicklungspsychologie spielt das Thema Übergänge keine große Rolle – es gehört zu den ‚übersehenen‘ Themen. Wenn es aber gelingt, die Chancen und Risiken von Übergängen wahrzunehmen und zu verstehen sowie die Übergänge zu gestalten, tun sich weite Felder für die Förderung von Kindern auf, ohne sie in besondere Förderprogramme zu schicken.
Die besonderen Chancen von Übergängen bestehen darin, dass ein Übergang von einem System in ein anderes dem Kind plötzlich erlaubt, neue Tätigkeiten auszuüben, in neue Rollen zu schlüpfen und neue Beziehungen zu gestalten – eine Reihe von Chancen für die Entwicklung dieses Kindes bzw. Jugendlichen. Wenn also ein 11jähriges Mädchen zum ersten Mal als Babysitterin arbeitet, lernt sie nicht nur, für jemanden zu sorgen, sondern ihr wird plötzlich zugetraut, Verantwortung zu übernehmen und mit Erwachsenen (den Eltern des Kleinkindes) zu kooperieren. Welches Sozialtraining kann da mithalten?
Von ökologischen Übergängen wird gesprochen, wenn eine Person ihre Position bzw. Rolle innerhalb eines Lebensbereichs wechselt oder in ein neues Mikro- bzw. Mesosystem eintritt. So ändert sich das Familiensystem eines Kindes durch die Geburt eines Geschwisterkindes, die Trennung der Eltern oder den Auszug eines größeren Geschwisters. Damit geht eine Veränderung der Rollen in der Familie einher – plötzlich ist man große Schwester oder großer Bruder oder muss nach dem Auszug von Vater oder Mutter in der Familie mehr Verantwortung übernehmen. Der Eintritt in ein neues Mikro- oder Mesosystem meint z. B. die Entdeckung eines neuen Hobbys und damit einhergehend etwa den Eintritt in eine Musikschule oder einen Sportverein. Die mit einem ökologischen Übergang zusammenhängende Veränderung des Lebensraumes, der sich heute aus einem vielfältigen Nebeneinander von Umwelten zusammensetzt, tritt oft unerwartet oder in Form von Krisen auf (z.B. Tod einer wichtigen Bezugsperson, Scheidung der Eltern) und muss nicht unbedingt entwicklungsfördernd verlaufen – auch Entwicklungsblockaden und -verzögerungen treten auf, wenn Übergänge nicht gelingen.
Von biographischen Übergängen bzw. Übergängen im Lebenslauf wird gesprochen, wenn Veränderungen in Abhängigkeit vom Alter auftreten bzw. neue Lebensabschnitte typischerweise zu durchschreiten sind. So geht man davon aus, dass sich im Prozess der menschlichen Entwicklung auch die ökologischen Kontexte, denen das Individuum angehört, systematisch verändern. Dazu gehören hier z.B. der Eintritt in die Schule, der Anschluss an eine Peer-Group, der Wechsel von der Schule in die Berufsausbildung, sowie etwa die Ablösung vom Elternhaus und der Umzug in eine eigene Wohnung. Diese und andere Übergänge im Nacheinander von Umwelten stehen somit in engem Zusammenhang mit Entwicklungsaufgaben, die phasentypisch bearbeitet und bewältigt werden müssen.
3. Fragen zum Weiterdenken
- Wie gehen Sie in ihrer Tages- oder Wohngruppe mit den gruppenbezogenen Übergängen (Aufnahme und Abschied) um? Haben Sie ein Konzept zur Begleitung dieser Übergänge damit sie als Entwicklungschancen verstanden werden können?
- Welche ökologischen Übergänge sehen und unterstützen Sie bei den Kindern Ihrer Gruppe? Wie schaffen Sie es, dass Kinder mit Erfolg an Angeboten der Jugendarbeit, des Sports oder Musikgruppen teilnehmen? Wie begleiten Sie die Übergänge? Und welche Übergänge könnten Sie ‚erfinden‘ (z.B. ein erster kleiner Job), damit ein Kind eine wichtige neue Erfahrung machen kann?
- In der Tages- oder Wohngruppe kommt es immer wieder auch zu biographischen Übergängen: Schuleintritt oder Schulwechsel, Kommunion oder Konfirmation, plötzlich Teenager etc. Wie würdigen, begleiten und unterstützen Sie diese Übergänge?
- Biographische und ökologische Übergänge der Kinder bieten immer auch die Chance, die Beziehungen zu den Eltern neu zu justieren. Überlegen Sie bei Übergängen auch, welche Chancen sich für die Eltern und für das Kind durch den neuen Lebensabschnitt ergeben?
- Um die Möglichkeiten von Übergängen zu verstehen, bietet es sich auch an, sich im Team oder mit Eltern darüber auszutauschen, welche Übergänge uns selbst in Kindheit und Jugend außerordentlich gestärkt oder sogar ‚gerettet‘ haben. Aber auch, welche Übergänge uns schwerfielen und was uns damals gefehlt hat, um die neue Situation nutzen zu können.
4. Material / Links
Webseite zum Thema „Übergänge erfolgreich gestalten“
https://www.gew-berlin.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/uebergaenge-erfolgreich-gestalten/
Urie Bronfenbrenner: Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Natürliche und geplante Experimente. Klett-Cotta, 1981