Gruppenzwang
1. Beschreibung der Herausforderung
Zu den Grundbedürfnissen jedes Menschen gehört es, Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen zu wollen und Teil einer Gruppe/ Gemeinschaft zu sein – schlichtweg „dazu zu gehören“. Besonders der Psychologe Alfred Adler setzte sich in seiner individualpsychologischen Theorie mit der Bedeutung von Gemeinschaftsgefühl auseinander.
Kinder wollen zunächst zu ihren Familien gehören und mit zunehmendem Alter immer stärker zu ihren Freundeskreisen. Deshalb sind Kinder und Jugendliche in der Adoleszenz besonders „anfällig“ für Gruppenzwang und unterliegen diesem stärker als Erwachsene.
Kinder und Jugendliche sind auf der Suche nach Zugehörigkeit und wollen sich gleichermaßen von Menschen abgrenzen, die nicht der Gruppe angehören. Die Gleichaltrigengruppe wirkt identitätsstiftend, bietet ihnen Schutz vor Gefahren und Bedrohungen aus der Umwelt und vermittelt ihnen ein Gefühl von Akzeptanz. Aus dem Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit wird jedoch nicht selten eine zu starke Identifizierung mit der Gruppe.
Kinder und Jugendliche passen ihre Meinungen und ihr Verhalten dann der Gruppe an, ohne selbst darüber nachzudenken. Persönliche Werte, Normen und Verhaltensweisen sowie (selbst-) kritisches Denken werden aufgegeben. Sie ordnen sich der Gruppe unter.
Besonders bei unsicheren Kindern und Kindern, denen das Selbstbewusstsein fehlt, um sich abgrenzen zu können oder ihre Meinung zu vertreten, entsteht häufig der Zwang zu Konformität. Sie sind eher gefährdet, Gruppenzwang nicht erkennen und/oder ihm nicht ausweichen zu können und besonders abhängig von Anerkennung und Zuwendung.
2. Unterschiedliche fachliche Argumente / Bedenken
Kinder brauchen Gruppenerfahrungen: Konformitätsdruck in Gruppen ist Teil der ganz normalen Sozialisation und damit zurechtzukommen ist eine wichtige Vorbereitung auf das Erwachsensein. Kinder und Jugendliche müssen also lernen, sich in Gruppen einzufügen, dort auf ihre eigene Persönlichkeit und ihre Bedürfnisse zu achten und um Freiheiten und Einfluss zu kämpfen.
Erwachsene sollten respektieren, dass Kinder und Jugendliche Gruppenzwang unterliegen und diesem bis zu einem gewissen Punkt folgen müssen, um akzeptiert zu werden. Die Identifikation mit dem eigenen sozialen Umfeld – außerhalb der Familie – ist also für eine gesunde Ich-Entwicklung von Kindern unerlässlich; ebenso wie die Abgrenzung von familiären Werten und Normen. Das ist ein wichtiger Teil, der zum Erwachsenwerden dazugehört.
Die Psychoanalyse stellt heraus, dass intensive Gruppenerfahrungen und Gruppenzugehörigkeiten bei Kindern in der Regel zeitlich begrenzt sind. Sie erfüllen eine Zeit lang eine wichtige Funktion beim Aufbau der Ich-Identität. Je stabiler das Ich wird, desto freier wird das Kind innerlich und desto leichter fällt es ihm, eine Gruppe, die ihm nicht gut tut, auch wieder zu verlassen. Eltern und Fachkräfte brauchen also häufig einfach nur Geduld, bis Gruppen sich auch wieder verändern oder auflösen.
Die Gleichaltrigengruppe vermittelt Kindern und Jugendlichen ein Gefühl von Sicherheit und kann dabei helfen, Konflikte im sozialen Umfeld leichter zu ertragen. Zum anderen kann die Gruppe dabei verhelfen, einen eigenständigen Platz in der Welt zu finden.
Andererseits können Gruppen zu ihren Mitgliedern auch hart und rücksichtslos sein. Sie weisen ihnen untergeordnete Rollen zu, gewähren wenig Freiheiten und zwingen sie zu konformem Denken und Tun.
Schließlich können pädagogische Fachkräfte mit Gruppen auch „arbeiten“. Sie können sie vor Aufgaben stellen, die sie mit ihren Machtstrukturen nicht lösen können; z.B. in erlebnispädagogischen Projekten. Gruppen können demzufolge lernen, ihre Strukturen verändern und die Ausübung von Zwang gegenüber ihren Mitgliedern reduzieren.
3. Fragen zum Weiterdenken
- In welchen Situationen, in denen Gruppenzwang eine Rolle spielt, sollte eingegriffen werden?
- Wann könnte Gruppenzwang nicht mehr nur ein Teil der Sozialisation sein und gefährlich werden?
- Wie könnte Gruppenzwang vorgebeugt werden?
- Wie können Kinder und Jugendliche an die Auseinandersetzung mit dem Thema Gruppenzwang herangeführt werden?
- Wie könnten Eltern und Fachkräfte, die vermuten, dass ein Kind sich von Gruppenzwang leiten lässt, ihre Bedenken und Sorgen dem Kind mitteilen?
- Welche Erfahrungen mit intensiven Gruppenzugehörigkeiten und Gruppenzwang haben Sie selbst gemacht? Was hat Ihnen und anderen geholfen, sich aus dem Zwangsrahmen wieder zu befreien?
4. Lösungsvorschläge
Bemerken Sie, dass ein Kind oder ein/eine Jugendliche/r durch Gruppenzwang beeinflusst wird oder werden könnte, können Sie durch Gespräche die Ursache herausfinden, weshalb er/sie sich von Gruppenzwang leiten lässt. Dabei sollte nichts erzwungen werden, sondern es ist wichtig, dass Sie zuhören, wenn das Kind oder die/der Jugendliche Situationen beschreibt, in denen Gruppenzwang erzeugt wurde.
Kinder brauchen Gruppen und Gruppenerfahrungen. Da sie in einer Gruppe aber oft nicht ohne weiteres aus der ihnen zugedachten Rolle heraustreten können, ist es wichtig, sie zu ermuntern, immer wieder neue Gruppenerfahrungen zu machen. So können z.B. kleinere und stillere Kinder oft in Gruppen mit Jüngeren erste Erfahrungen mit der Entwicklung eigener Positionen und der Übernahme von Verantwortung für andere Kinder machen.
Besonders problematisch ist Gruppenzwang in Gruppen, die Kinder sich nicht selber aussuchen können und wo die Mitgliedschaft alternativlos ist. Hierzu gehören z.B. Tagesgruppen, Wohngruppen und Schulklassen. Hier ist die Aufgabe der Fachkräfte, die Gruppendynamik immer genau im Blick zu halten und Gruppenzwang frühzeitig zu erkennen.
5. Material/ Links
https://germanblogs.de/gruppenzwang-bei-kindern-beispiele-und-was-man-dagegen-tun-kann/
https://www.paradisi.de/leben/gruppenzwang/bei-jugendlichen/
Buch: Nina Schibielsky: Gruppenzwang und Konformitätsdruck. Der Asch-Effekt und seine Konsequenzen für pädagogisches Handeln, GRIN Verlag 2014
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