Räume für Kinder
1. Beschreibung der Herausforderung
Kinder wie auch Erwachsene verbringen einen großen Teil des Tages in Räumen. Sie befriedigen dort ihre Bedürfnisse nach Rückzug oder Gemeinsamkeit und nutzen die Räume für viele verschiedene Tätigkeiten. Wenn wir Räume speziell für Kinder gestalten, finden wir uns in einem Spannungsfeld wieder. Auf der einen Seite möchte man dem Kind einen Raum anbieten der ihm gerecht wird und der es herausfordert. Auf der anderen Seite möchte man das Gefahrenpotenzial auf ein Minimum reduzieren; dies gilt besonders für Außenräume (Gärten, Spielflächen etc.).
Räume können aber viel mehr sein als nur Risikoherde oder funktionsgerichtete Trainingsorte für Kinder. Da es nur wenige Facharchitekt*innen gibt, die Tages- und Wohngruppen speziell für die Entwicklungsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen entwerfen und bauen, müssen wir im pädagogischen Alltag meist das Beste aus Räumen machen, die häufig nur wenig für das Gruppenleben geeignet sind – zu hellhörig, zu klein, zu dunkel, zu wenig anregend u.v.m.
2. Unterschiedliche fachliche Argumente / Bedenken
Der psychoanalytisch ausgebildete Pädagoge Bruno Bettelheim hat mit viel Mühe und Liebe zum Detail erforscht, wie sich die Gestaltung von Räumen auf die Psyche von Kindern, die in Einrichtungen leben, auswirkt. Außerdem hat er in seiner Schule und seinem Internat mit sehr viel Aufwand gezeigt, wie kindgerechte Räume für schwer entwicklungsgestörte Kinder aussehen können – angefangen von der Möblierung, der Farbgestaltung bis zum Bau großer begeh- und bespielbarer Kunstwerke im Garten. Folgen Sie bitte der Verlinkung ,,Bruno Bettelheim“ um mehr zu diesem Thema zu erfahren.
Die Reggiopädagogik hat sich seit vielen Jahren sehr intensiv mit den Potentialen von Räumen beschäftigt. In ihrer Erziehungsphilosophie trifft sie dazu verschiedene Grundannahmen. Eine der Annahmen ist, dass der Raum neben den Fachkräften als zusätzlicher Erzieher fungiert. Der Raum hat dabei zwei Hauptaufgaben: Er gibt Kindern Geborgenheit und stellt sie vor Herausforderungen. Aber die tatsächlichen Räume der Einrichtung sind nur ein Teil des Raumes. Der andere Teil ist die fußläufig zu erreichende Umwelt der Einrichtung. Das pädagogische Ziel ist es, dass die Kinder durch Nachahmen und selbstständige Erforschung lernen. Dazu müssen die Räume zur selbstständigen Erkundung anregen und Tätigkeiten von Erwachsenen und älteren Kindern so sichtbar gemacht werden, dass Nachahmen möglich ist.
Um die Kinder zum Forschen und Nachahmen anzuregen, muss es den Räumen gelingen, die Kinder zum Ausprobieren und Kommunizieren anzuregen und darüber hinaus müssen sie in den Räumen die Erfahrung machen, ihre Bedürfnisse selbsttätig befriedigen zu können. Dies wird erreicht, indem der Raum in einer bestimmten Weise eingerichtet wird.
Architektur
Die Architektur der Räume beeinflusst ihren Nutzen in der Reggiopädagogik. Transparenz ist in der Architektur besonders wichtig, um Kindern das Nachahmen zu ermöglichen. Ein Beispiel dafür ist, dass das Esszimmer in die Küche übergeht, ohne davon abgetrennt zu sein; so können Kinder die Erwachsenen beim Kochen beobachten. Die Sichtbarkeit von Kindern die aktiv sind, kann andere Kinder dazu anregen, einer Tätigkeit ebenfalls nachzugehen. Die Öffnung der Einrichtung in das direkte Umfeld ist auch wünschenswert und kann bspw. durch große bodentiefe Fenster hergestellt werden.
Darüber hinaus lenkt die Anzahl der Räume und deren Positionierung zueinander die Möglichkeiten des Spielens und die Stimmungslage der Kinder. So sind kleinere Räume für den Rückzug besser geeignet als große. Dabei ist besonders wichtig, dass die Räume zwar eine Funktion zugewiesen bekommen, dass die Kinder aber trotzdem die Möglichkeit bekommen sollen, in jedem Raum genau das machen zu können, worauf sie Lust haben. Wenn die Räume gut gestaltet sind, werden die Kinder sich auch zu den Tätigkeiten bereit und angeregt fühlen, die der Raum vorsieht.
Einrichtung
Durch Gegenstände mit Aufforderungscharakter sollen die Kinder in der Reggiopädagogik zu verschieden Tätigkeiten animiert werden. Beispielweise versetzen verschiedene Verbrauchsmaterialen die Kinder in die Lage, sich künstlerisch auszuleben und auszuprobieren. Meist gibt es in der Reggiopädagogik zu diesem Zweck auch noch einen gesonderten Werkstattraum, aber die Möglichkeit sollte in jedem Raum geben sein. Wenn Kinder etwas hergestellt haben, sollte diese Sache auch in der Einrichtung platziert werden. Dadurch fühlen sich Kinder besser in den Räumen aufgehoben.
3. Fragen zum Weiterdenken
- Zu welchen Tätigkeiten motivieren unsere vorhandenen Räume die Kinder und Jugendlichen? Wie könnten wir die Räume umgestalten, um andere Aktivitäten zu befördern?
- Gibt es Räume in unserer Einrichtung die von den Kindern gemieden werden? Wenn ja, was könnten Gründe dafür sein? (Bspw. Treffen im Flur statt im Gemeinschaftsraum)
- Diskutieren Sie, in welchem Maße die Kinder und Jugendlichen eingebunden werden können, um die Räume der Einrichtung mitzugestalten (über ihr eigenes Zimmer hinaus).
- Tauschen Sie sich aus: Welche Raumgestaltung haben Sie bereits erlebt und wie wurden Sie von diesen Räumen beeinflusst?