Kinder in Gruppen und Gemeinschaften

1. Beschreibung der Herausforderung

Kinder, Jugendliche und Erwachsene müssen gelegentlich mit anderen Menschen zusammen in einer kleineren oder größeren Gruppe arbeiten und dabei lernen, mit ihren eigenen Bedürfnissen und denen der Anderen innerhalb der Gruppe umzugehen. Doch für Kinder und Jugendliche in einer Wohn- oder Tagesgruppe stellt sich diese Herausforderung jeden Tag. Das Leben in einer Gruppe ist sowohl für die Einzelnen als auch die Gruppe eine Herausforderung. Um nachvollziehen zu können, wie sich Kinder und Jugendliche als Gruppen zusammenfinden kann das ‘Gruppenphasen-Modell‘ von Bernstein und Lowy herangezogen werden (siehe Link). In einer Wohn- oder Tagesgruppe geht es meist aber nicht darum, dass sich eine völlig fremde Gruppe zusammenfindet. Die Herausforderungen sind, dass Fremde zu einem Leben in der nicht selbst gewählten Gruppe gezwungen werden und dass eine Wohngruppe immer mal wieder neue Mitglieder hinzugewinnt und andere verabschieden muss.

2. Unterschiedliche fachliche Argumente

Zunächst ist wichtig, daran zu denken, dass die Gruppe, welche ein neues Mitglied aufnehmen soll, es grundsätzlich ebenso oder noch schwerer hat, als der Neuzugang. Welche Ängste das neue Mitglied beschäftigen, ist recht deutlich, es geht vielleicht darum, ob er/sie glaubt, in die Gruppe hineinzupassen. Sein/ihr Kommen bedeutet aber auch für die ganze Gruppe, dass sie sich an jemand Neues anpassen muss. In manchen Gruppenkonstellationen kann es auch bedeuten, dass die Kinder und Jugendlichen sich darauf einstellen müssen, ihre Bezugsbetreuer*innen mit dem neuen Mitglied zu teilen. Je nachdem, wie gut eine Gruppe schon zusammenhält, reagiert sie anders auf neue Mitglieder. Bruno Bettelheim schlägt vor, als Fachkraft zu vermeiden, für die ganze Gruppe zu sprechen. Sätze wie ,,Wir freuen uns alle, dass du hier bist.“ mögen dem Neuzugang helfen, aber die Gruppe fühlt sich dadurch ggf. übergangen.

Tipp: Besprechen sie den anstehenden Einzug eines neuen Mitgliedes in der Tagesgruppe/Wohngruppe, mit der Gruppe im Vorhinein. Lassen Sie die Mitglieder äußern, was diese brauchen, um diese Veränderung besser überstehen zu können. Achten sie in der Zeit, in der das neue Gruppenmitglied einzieht, besonders auf die ‚alten‘ Gruppenmitglieder, um ihnen die Angst zu nehmen, dass sie nun weniger Aufmerksamkeit bekommen. Wenn eine nette Aktivität zusammen unternommen wird, die nicht explizit für den Neuzugang ausgerichtet wird, kann sich eine freundliche Atmosphäre für erste Kontakte mit der Gruppe entwickeln.

Die Aufnahme neuer Gruppenmitglieder hängt stark davon ab, wie der Zusammenhalt aktuell ist:

Sehr wenig Zusammenhalt innerhalb der Gruppe: Das neue Gruppenmitglied kann als Bedrohung wahrgenommen werden. Das löst in der Gruppe entweder den Drang aus, sich als mit mehr Zusammenhalt zu präsentieren, als tatsächlich vorhanden ist und die Neue / den Neuen von der Gruppe auszuschließen. Dies kann sich auch in offener Feindseligkeit äußern. Oder die / der Neue wird von einzelnen Mitgliedern ‚angeworben‘, um ihre Interessen in der nicht gefestigten Gruppe zu stärken. In so einem Fall würde diese Instrumentalisierung dem Neuankömmling bewusst werden.

Mittelhoher Zusammenhalt innerhalb der Gruppe: Eine solche Gruppe begegnet dem neuen Mitglied mit einer Demonstration ihres Zusammenhaltes, der als höher präsentiert wird, als er ist. Damit versucht die Gruppe, sich selbst davon zu überzeugen, dass der Neuankömmling keine Bedrohung für ihren lockeren Zusammenhalt darstellt. Eine andere Reaktion kann sein, dass die möglichst schnelle Einführung des neuen Mitglieds in die Gruppe als eine Art Prüfung ihres Zusammenhaltes verstanden wird und deswegen möglichst schnell erzwungen wird.

Sehr großer Zusammenhalt innerhalb der Gruppe: Hier wird der Neuling nicht ausgegrenzt und auch nicht möglichst schnell integriert. Stattdessen begegnet ihm/ihr die Gruppe mit freundlicher Gleichgültigkeit. Es wird nicht allzu schwierig, sich in eine solche Gruppe zu integrieren, da sie nicht feindselig ist, aber eine Integrationshilfe bietet diese Gruppe auch nicht. Sie wird ihr normales Gruppenleben weiterführen, ohne sich von dem Neuzugang zu sehr irritieren zu lassen.

Um mehr über die gelingenden Abschiede aus einer Gruppe zu erfahren, folgen Sie der Verlinkung ,,Gestaltung von Übergängen.“

Gruppendynamik

Die Dynamik der Gruppe, also die Beziehungen, die zwischen einzelnen Gruppenmitgliedern bestehen, kann man mit Hilfe eines ‚Soziogramms‘ herausfinden und darstellen. Mit seiner Hilfe können die Beziehungen in der Gruppe auch besser verstanden und ggf. verbessert werden. Gezieltes Befragen oder Beobachten kann helfen, um die Beziehungen zwischen den Kindern oder Jugendlichen herauszubekommen. Anzeichen können sein: mit wem jemand zusammen etwas unternimmt, mit wem gerne die Hausarbeit erledigt wird, wer sich beim Essen zusammensetzt, wer bei gemeinsamen Aktivitäten zusammen redet und wer andere Gruppenmitglieder einlädt. Durch die Beobachtung oder das Fragen nach diesen Aspekten kann herausgefunden werden, wer sich in der Gruppe gut miteinander versteht und wer zurzeit nicht gut integriert ist. Wenn die Beziehungen ermittelt sind, kann man damit ein ‘Soziogramm‘ aufstellen. Dazu ordnet man die Namen der Gruppenmitglieder im Kreis zueinander an und zeichnet der Beziehung entsprechende Linien zwischen ihnen. Im Ergebnis wird die Gruppendynamik sichtbar.

In einer Gruppe gibt es auch immer Menschen, die eher außen vor sind. Für sich genommen ist das keine Schwierigkeit, aber wenn Antipathien von mehreren aus der Gruppe sich gegen eine Person richten, muss daran gearbeitet werden.

Kollektiv oder Gemeinschaft?

Anton Makarenko betonte in seiner pädagogischen Arbeit die Möglichkeit, die Gruppe gezielt zu Erziehungszwecken zu nutzen. In seiner Kollektiverziehung wird allerdings die individuelle Entfaltung des Kindes dem Kollektiv untergeordnet. Das heißt aber nicht, dass ein einzelnes Mitglied für die Gruppe keinen Wert hat; im Gegenteil, der individuelle Wert des Kindes oder des Jugendlichen ergibt sich nach ihm daraus, was er/sie für das Kollektiv im Speziellen leisten kann. Das Kollektiv erfüllt zusammen Aufgaben, wobei jedes Mitglied eine eigene Funktion hat. Auch auf die gemeinsame Freizeitgestaltung legt Makarenko viel Wert, aber seine Erziehungsidee ist vor allem durch Disziplin und Unterordnung zugunsten des Kollektivs geprägt.

Eine andere Idee von Gruppenpädagogik vertritt der Reformpädagoge Siegfried Bernfeld. Er versteht Gruppen weniger als Kollektive sondern als Gemeinschaften. Entsprechend begibt er sich in seinem ‚Kinderheim Baumgarten‘ vor allem auf die Suche nach Möglichkeiten der Gemeinschaftsförderung: wie kann die Gruppe zusammen bedeutsame Erlebnisse haben, wie kann sie sich gegenseitig helfen, wie kann jedes Gruppenmitglied eine bedeutsame Aufgabe und Position in der Gruppe finden?

3. Fragen zum Weiterdenken

  • Wie kann ich ein Kind, das bereits vorher aus einer anderen Wohngruppe verwiesen wurde, gut in unsere Gruppe integrieren? Diskutieren Sie darüber, wie Sie selbst die Arbeit oder sogar das  Leben in einer Gruppe empfunden haben und was Ihnen daran schwergefallen ist.
  • Die Wohngruppen in der Jugendhilfe sind durch äußere Umstände zusammengekommen. Wie glauben sie, wirkt sich dieser Umstand auf die Gruppenmitglieder aus und wie stehen Sie zu dieser Art der Gruppenzusammenstellung?

  • Reflektieren Sie, wie Sie den letzten Abschied von einem Mitglied Ihres Teams empfunden haben und was sie gerne gemacht haben oder gemacht hätten, um diesen Abschied zu erleichtern. Lassen sich diese Erfahrungen auf den Abschied von Kindern übertragen?
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