Umgang mit Sprachbarrieren

– Wenn man verschiedene Sprachen spricht!

1. Beschreibung der Herausforderung

Das Zusammenleben in der Gesellschaft hat sich in den letzten Jahren mehr und mehr verändert, nicht zuletzt durch die zunehmende Globalisierung. Menschen aus verschiedenen Ländern treffen aufeinander, bringen eigene Sprachen, Kulturen, Werte und Normen mit. Es reicht oftmals der Spaziergang durch die Innenstadt, um mit anderen Kulturen und Sprachen in Berührung zu kommen. Die Vielfalt von Sprachen ist dabei enorm. Man spricht von einer multikulturellen Welt, in welcher verschiedene Sprache aber auch Kulturen aufeinandertreffen. Das kann nicht nur im Privatleben zu Herausforderungen führen, sondern auch in beruflichen Kontexten der Sozialen Arbeit.

Die vielfältigen Lebensformen, verschiedene Normen- und Wertesysteme oder auch das Sprechen verschiedener Sprachen können Beratungssituationen, als auch die Kontaktaufnahme zu Kindern, Jugendlichen und ihren Familien erschweren. Unter Sprachbarrieren werden vorrangig Kommunikationsprobleme aufgrund mangelnder gemeinsamer Sprache verstanden. Sprachliche Barrieren können sich aber auch auf andere Art und Weise zeigen. Auch wenn beide Parteien die gleiche Sprache sprechen, können Sprachbarrieren durch das Nutzen von Fremdwörtern oder Fachausdrücken entstehen. Ebenso können Sprach- und/oder Kommunikationsbarrieren entstehen, wenn eine Person nichts sehen, hören oder sprechen kann.

Doch wie gelingt es, die Adressat*innen trotz sprachlicher Barrieren in Beratungskontexten, als auch Wohn- und Tagesgruppen zu beteiligen? Und können sprachliche Barrieren als Ressource gesehen werden?

2. Unterschiedliche fachliche Argumente/ Bedenken

Interkulturelle Arbeit nimmt diese gesellschaftliche Pluralität mit ihrer Differenz und Diversität auf und begegnet ihr mit einer Haltung der Anerkennung. Dabei umfasst sie nicht allein die Unterschiede von Kulturen und Sprachen, sondern auch das Verhältnis von unterschiedlichen Lebensformen und Unterschiede des Geschlechts, des Alters, der Religion, der sexuellen Orientierung, der körperlichen Ausstattung und der sozioökonomischen Lage. Es handelt sich zudem um eine sozialpolitische Haltung, dass unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Interessen und auch verschiedener Kommunikationsformen in einer Gemeinschaft zusammenleben.

 

Dennoch steht der Begriff „interkulturelle Arbeit“ in der Kritik. Der Begriff suggeriert auch eine generelle Unterscheidung von Kulturen, was wiederum dazu führen kann, dass Abgrenzungen geschaffen und Unterscheidungen von Kulturen vorgenommen werden. Um dem entgegenzuwirken hat Franz Hamburger das Konzept der „reflexiven Interkulturalität“ entwickelt. Die Reflexion ermöglicht eine eigene Auseinandersetzung mit dichotomen Denkweisen und regt dazu an sich kritisch selbst zu hinterfragen. Hamburger fordert weiter, dass man sich konsequent am Individuum orientieren muss, da eine interkulturelle Soziale Arbeit ansonsten Gefahr laufe, genau diese Perspektive aus dem Blick zu verlieren.

 

Die reflexive Interkulturalität sieht vor, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, damit der Subjektstatus erhalten bleibt und die möglichen Unterschiede/ Barrieren nicht in den Mittelpunkt gestellt werden. Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: In Wohn- und Tagesgruppen treffen viele unterschiedliche Kinder und Jugendliche aufeinander. Die Kinder und Jugendlichen haben verschiedene Interessen, Hobbies oder auch einen unterschiedlichen kulturellen oder sprachlichen Hintergrund. Dies kann dann zur Herausforderung werden, wenn bspw. sprachliche Barrieren die Kommunikation untereinander erschweren. Oftmals geraten jedoch die möglichen Herausforderungen zu stark in den Fokus der Fachkräfte und der kulturelle Hintergrund wird einseitig problematisiert. Mittels einer reflexiven Interkulturalität werden Fachkräfte dazu angeregt, ihre eigenen Denkweisen zu hinterfragen.

 

Kinder und Jugendlichen bringen auch wertvolle Ressourcen mit, wie das Sprechen einer zweiten Sprache oder das Wissen über eine bestimmte Kultur. Die Kinder und Jugendlichen können also voneinander lernen und die Neugier, eine weitere Sprache zu lernen oder andere Kulturen kennenzulernen, steigt. Sprachliche Barrieren müssen nicht unbedingt als Problem/ Herausforderung wahrgenommen werden, sondern können ebenfalls als Chance und besondere Fähigkeit von Kindern und Jugendlichen verstanden werden. Es kommt zu einem Perspektivwechsel, wobei das Kind/ der Jugendliche wieder in den Fokus gerückt wird. Eine regelmäßige Reflexion der eigenen Denkweisen erhält daher eine zentrale Bedeutung und sollte in Teams unterstützt und angeregt werden.

 

Diese Haltung kann dazu beitragen, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Um Kinder und Jugendliche und ihre Lebensgeschichte zu verstehen, lohnt es, offen und neugierig zu sein. Oftmals hilft es dabei Lebensumstände, Handlungen als auch Verhaltensweisen der Adressat*innen einordnen zu können. Gleichzeitig merken die Kinder und Jugendlichen, dass man die Lebenswelt verstehen und Hintergründe ihrerseits erfahren möchte. Sie fühlen sich ernst genommen und verstanden. Dazu zählt auch, den Kindern und Jugendliche Zeit beim Sprechen als auch beim Antworten zu geben und passende Nachfragen zu stellen, um Missverständnisse zu vermeiden. Der Mensch steht im Mittelpunkt und sollte partizipativ eingebunden werden, auch wenn sprachliche Barrieren dies erschweren. Damit das gelingen kann, werden im Folgenden nun einige Bespiele benannt, um sich auf kreative Weise mit sprachlichen Barrieren auseinanderzusetzen:

 

Damit sich auch die Fachkräfte sensibel mit Kulturen auseinandersetzen können, sollten diese die Möglichkeit haben, regelmäßig an Fachtagungen und Fortbildungen teilnehmen zu können. Die Fachkräfte können dadurch eine eigene Haltung entwickeln, über Kulturen, sprachlichen Barrieren und Herausforderungen ins Gespräch kommen und ihr gewonnenes Wissen in Beratungssituationen nutzen und einbringen. Eigene dichotome Denkweisen können reflektiert und hinterfragt werden. Die Kinder und Jugendlichen fühlen sich besser verstanden und erhalten den Raum, sich selbst zu öffnen.

 

Des Weiteren können sprachliche Barrieren durch das Verwenden einfacher Sprache abgebaut werden. Fachkräfte können darauf achten, Fachausdrücke zu vermeiden und einfache Worte verwenden. Auch hier können die Kinder und Jugendlichen, als auch die Eltern gefragt werden, worauf beim Gespräch geachtet werden sollte. Manchmal ist es schon ausreichend, langsamer zu sprechen und auf Fachbegriffe zu verzichten. Fachkräfte können systemische Fragestellungen, wie bspw. „Habe ich das richtig verstanden, du fühlst dich …?“ nutzen, um das Gesagte zu wiederholen und so Missverständnisse zu vermeiden. Des Weiteren kann mit Bildkarten gearbeitet werden, um Dinge oder auch Prozesse zu erklären. Dies kann vor allem für Menschen mit einer Hör-Einschränkung sehr hilfreich sein. Bilder können auch dabei unterstützen über Gefühle in Gespräch zu kommen oder besonders schwierige Themen zu besprechen. Wie ein bekanntes Sprichwort sagt: „Manchmal können Bilder mehr sagen als tausend Worte!“.          


Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit kann weiter darüber nachgedacht werden, Broschüren in verschiedenen Sprachen zu drucken. Es eignet sich, Broschüren in den Sprachen zu drucken die in dem Sozialraum vorrangig gesprochen werden. Eltern, also auch Kinder und Jugendliche haben so einen erleichterteren Zugang zu Informationen und können sich einen Überblick über mögliche Angebote schaffen.

 

Dennoch ist das Sprechen einer gemeinsamen Sprache nicht immer möglich. In solchen Situationen kann es hilfreich sein eine*n Dolmetscher*in hinzuzuziehen. Dolmetscher*innen können dabei unterstützen, Missverständnisse innerhalb der Kommunikation oder eines Elterngespräches zu vermeiden und Adressat*innen in ihrer Lebenswelt abzuholen. Es sollte darauf geachtet werden, professionelle Dolmetscher*innen hinzuzuziehen, besonders dann, wenn sensible oder konflikthafte Themen besprochen werden. Es kann vorkommen, dass sich Dolmetscher*innen positionieren, insbesondere dann, wenn persönliche Beziehungen bestehen. Des Weiteren sollte beachtet werden, dass Dolmetscher*innen im Beratungskontext fremde Personen sind, die zum Übersetzen hinzugezogen wurden. Diese Rolle sollte vorab mit allen Beteiligten besprochen werden. Die Eltern, als auch die Kinder und Jugendlichen sollen nicht das Gefühl vermittelt bekommen, dass nur über sie anstatt mit Ihnen gesprochen wird. Sie sollten sich nicht als Zuschauer*in während der Beratung fühlen. Besteht das Team aus mehrsprachigen Fachkräften, können diese ebenfalls als Sprachmittler*innen fungieren. Das hat auch den Vorteil, dass keine fremde dritte Person anwesend ist und kann dazu beitragen, dass die Gespräche vertraulicher stattfinden können.

 

Gleichzeitig können digitale Möglichkeiten dabei unterstützen, sprachliche Barrieren zu überwinden. So nutzen viele Fachkräfte bereits Apps, um Sprachen zu übersetzen und dadurch die Kommunikation zu erleichtern. Die digitalen Möglichkeiten werden sich in Zukunft weiterentwickeln und werden auch in der Sozialen Arbeit eine wesentlich größere Rolle einnehmen und viele Prozesse unterstützen. Die Nutzung von KI-gestützten Übersetzungsapps, wie bspw. Chat GPT ermöglicht es bereits jetzt schon, ganze Texte aus verschiedenen Sprachen zu übersetzen. Dennoch kann es auch bei Übersetzungsapps zu Missverständnissen und falschen Übersetzungen kommen. Dies sollte kritisch beachtet werden.

 

Sprachliche Barrieren treten nicht nur im Kontakt von Fachkräften und Adressat*innen auf. Sprachliche Barrieren können auch den Kontakt unter Eltern bspw. in Tages- oder Wohngruppen erschweren. Auch für Eltern kann es bereichernd sein, sich mit verschiedenen Kulturen auseinanderzusetzen und sie kennenzulernen. Einrichtungen können kulturelle Veranstaltungen organisieren, bei denen unterschiedliche Sprach- und Kulturgemeinschaften zusammenkommen können. Die Eltern kommen so in Kontakt zueinander, können sich kennenlernen und entwickeln ein Verständnis für die jeweils andere Kultur.

 

Des Weiteren können Peer-to-Peer Angebote dabei unterstützen, sprachliche Barrieren abzubauen. Neben sprachlichen Barrieren gibt es auch häufig strukturelle Herausforderungen in der Gesellschaft, die Gruppen marginalisieren. Peer-to-peer Angebote, bei denen sich Adressat*innen gegenseitig helfen und unterstützen können, sind sehr niedrigschwellig aufgebaut. Probleme werden, aufgrund eigener Erfahrungen, häufig besser verstanden. So können die Kinder und Jugendlichen beispielsweise Patenschaften für andere Kinder oder Jugendlichen übernehmen. Dadurch kommen die Adressat*innen direkt in Kontakt zueinander und können voneinander lernen. 

 

Darüber hinaus kann die Kooperation mit anderen Einrichtungen dabei unterstützen vorhandene Stärken und Ressourcen zu bündeln und gemeinsame Lösungsstrategien zu entwickeln. So kann beispielsweise eine Fachkraft aus einer anderen Wohn- oder Tagesgruppe des gleichen Trägers bei der Übersetzung in einem Elterngespräch unterstützen. Bei einem Sommerfest können Vereine und Einrichtungen beteiligt werden. Gemeinsame Aktionen von Menschen fördern die Integration und den Austausch untereinander. Nicht immer ist es dafür notwendig, die gleiche Sprache zu sprechen. Menschen werden durch gemeinsame Aktionen in Gemeinschaften eingebunden und auch die Kinder und Jugendlichen lernen bspw. neue Aktivitäten kennen.

 

Ebenfalls kann es hilfreich sein, Sprachkurse anzubieten oder Informationsmaterial für Sprachkurse im Sozialraum auszulegen. Eltern haben so die Möglichkeit, ihre Sprache zu verbessern und sich mit andern auszutauschen. Initiierungen von Kampagnen können dabei unterstützen ein Bewusstsein für sprachliche Barrieren und ihre Auswirkungen zu schaffen. Dadurch können auch Vorurteile abgebaut und Verständnis und Empathie gefördert werden.

 

Sprachliche Barrieren müssen also kein Hindernis sein. Sie können auch als Ressourcen gesehen werden, als Chance, einen Einblick in eine andere Kultur zu bekommen. Zunächst fremd erscheinenden Lebensgewohnheiten zu begegnen, diese verstehen zu wollen, ermöglicht es auch, eigene Verhaltenslogiken zu erschließen und diese zu reflektieren. Man kann durch eine reflexive interkulturelle Haltung eigene Stereotypen und Vorurteile abbauen, Familien kennenlernen und neue Perspektiven aufdecken, um sprachliche Barrieren nicht zu sehr zu problematisieren und die Kinder und Jugendlichen, als auch die Eltern mit ihren Ressourcen und Fähigkeiten wieder in den Mittelpunkt zu stellen.

3. Fragen zum Weiterdenken

 

  • Wo sind Ihnen bereits sprachliche Barrieren begegnet und welche Lösungen haben Sie dafür gefunden?
  • Welche Auswirkungen haben sprachliche Barrieren auf die Kommunikation zwischen Adressat*innen und uns als Fachkräfte?
  • Wie können wir als Team unsere interkulturelle Kommunikation/ Haltung verbessern, um eine inklusive Umgebung für Kinder, Jugendliche und ihre Familie zu schaffen?
  • Welche Rahmenbedingungen können dazu beitragen/ geschaffen werden, um die Kommunikation in unserer Wohn-/Tagesgruppe zu fördern?
  • Wie kann Mehrsprachlichkeit in ihrer Einrichtung gefördert werden? Welche Potentiale und welche Herausforderungen bringen sprachliche/ kulturelle Hintergründe mit?
  • Welche Rolle spielen kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Wohn-/ Tagesgruppe und wie kann das Team diese Diversität als Stärke nutzen?

4. Material / Links

Sozialverband VdK Deutschland e.V. (2016): Auch Sprache kann eine Barriere sein. Online im Internet:  Auch Sprache kann eine Barriere sein | Sozialverband VdK Deutschland e.V. [02.07.2023]

 

Aktion Mensch e.V. (2023): Barrierefreie Kommunikation. Online im Internet: Barrierefreie Kommunikation | Aktion Mensch (aktion-mensch.de) [02.07.2023].

 

Hinrichs, Uwe (2018): Mehrsprachigkeit in Deutschland. Migration und Sprache. Online im Internet:  [02.07.2023].

 

Huber, Ortun (2023): Wenn Sprachenvielfalt ein Vorteil ist. Online im Internet: Mehrsprachigkeit und Migration: Sprachenvielfalt als Vorteil | tagesschau.de [02.07.2023].

 

Koch, Ute (2018): Vielfalt, Differenz und interkulturelle Kompetenz im Diskurs. In: B. Blank et.al. (Hrsg.): Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Wiesbaden: Springer Fachmedien GmbH. S. 187- 198.

 

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