Umgang mit Antisemitismus

1. Beschreibung der Herausforderung

Antisemitismus ist auch in der heutigen Zeit omnipräsent. Immer wieder kommt es zu Vorfällen, bei denen Beteiligte aber auch Unbeteiligte mit Witzen oder Diskussionen konfrontiert sind, die sich auf Vorurteile gegenüber Jüdinnen und Juden stützen. Aber was genau versteht man unter Antisemitismus?

Der Begriff „Antisemitismus“ bezieht sich auf Vorurteile, Diskriminierung und Hass gegenüber Menschen jüdischer Herkunft. Die Feindseligkeit gegenüber Juden kann auf religiösen Vorurteilen, rassistischen Überzeugungen, wirtschaftlichen Konflikten oder politischen Ideologien basieren.

Antisemitische Vorurteile fundieren oftmals auf Grundlage von Generalisierungen und pauschalen Grundannahmen, die sich nicht aus persönlichen Erfahrungen mit jüdischen Menschen ergeben. Denn Jüdinnen und Juden bilden in ihrer Gesamtheit eine heterogene Gruppe, so wie das auch bei allen anderen Religionen oder Kulturen der Fall ist. So vertreten sie durchaus verschiedene Interessen und unterschiedliche Werte. Genau dies wird von Antisemiten verkannt, welche die jüdische Gemeinschaft als homogene Gruppe verstehen.

Die meisten bringen den Begriff Antisemitismus vermutlich mit der NS-Zeit und der daraus folgenden Judenverfolgung in Verbindung. Historisch gesehen entstand Antisemitismus jedoch nicht erst im 20. Jahrhundert im Zuge des Nationalsozialismus, sondern reicht weit in die Vergangenheit zurück und ist geprägt von Diskriminierung und Gewalt, die seit über zweitausend Jahren gegen Juden und Jüdinnen gerichtet sind. Der Begriff Antisemitismus selbst entstand allerdings erst 1879 und bezeichnete einen diskriminierenden und „wissenschaftlich“ begründeten Hass auf Menschen jüdischen Glaubens, der auf Ausgrenzung, Vertreibung und letztlich Vernichtung der jüdischen Minderheit abzielte. Heutzutage bezeichnet Antisemitismus die Feindschaft oder den Hass gegen Menschen, die dem jüdischen Glauben angehören, jüdischer Herkunft sind oder zur jüdischen Gemeinschaft gehören.

Trotz der international anerkannten Menschenrechte und einem zunehmend diversen Zeitgeist, existiert Antisemitismus noch immer. Dies hat Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche, einschließlich der Kinder- und Jugendhilfe. Auch im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland ist Antisemitismus kein unbekanntes Phänomen. Judenfeindliche Äußerungen und Verhaltensweisen können sowohl in persönlichen Interaktionen als auch in sozialen Netzwerken und anderen digitalen Plattformen auftreten, die Jugendliche häufig nutzen. Dabei können Vorurteile und stereotypes Denken über Jüdinnen und Juden und des Judentums im Generellen zu Diskriminierung und Ausgrenzung führen.

2. Unterschiedliche fachliche Argumente/ Bedenken

Antisemitismus in der Kinder- und Jugendhilfe stellt ein komplexes Themengebiet dar, welches hinsichtlich der Auseinandersetzung und Bekämpfung gezielte Maßnahmen erfordert.

Die Wichtigkeit der Thematisierung von Antisemitismus in der Kinder- und Jugendhilfe besteht darin, dass die Jugendhilfe eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung und Aufklärung von Jugendlichen über Antisemitismus spielen kann. Durch Bildungsprogramme, Workshops und Dialoge können Vorurteile und Stereotype aufgedeckt und bekämpft werden. Dazu gehören aber auch der Umgang und die Aufklärung über den Holocaust sowie die Aufarbeitung der Geschichte des Antisemitismus und der jüdischen Kultur insgesamt.

Bisher ist die Kinder- und Jugendhilfe nicht frei von Vorurteilen und Stereotypen, die sich gegen Juden und Jüdinnen richten. Für die Zukunft könnte jedoch das Ziel sein, dass sich auch die Kinder- und Jugendhilfe noch stärker gegen Diskriminierung und Ausgrenzung positioniert.

Hinderlich an den Zielen und Wünschen könnte sein, dass einige Fachkräfte eine mangelnde Kompetenz und Sensibilität für dieses Themengebiet aufweisen. Daher ist es von Bedeutung, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besser geschult werden, um antisemitische Vorfälle zu erkennen, angemessen darauf zu reagieren und präventive Maßnahmen ergreifen zu können.

Dazu müsste sich die Jugendhilfe allerdings erst einmal interkulturell öffnen. Damit ist gemeint, dass Einrichtungen zuerst einmal diverser werden sollten, um den Austausch mit anderen Kulturen und Religionen zu fördern.
Auch im politischen und gesellschaftlichen Kontext müsste das Thema präsenter sein, damit dieses nicht von der öffentlichen Agenda gestrichen wird und weitere Fördermaßnahmen entstehen können.

So könnten freie Träger aber auch NGOs Arbeitsansätze zum Thema Antisemitismus entwickeln.
Die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe brauchen gezielte pädagogische Maßnahmen und eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema, damit ein Bewusstsein für Antisemitismus geschaffen wird. Dabei können präventive Maßnahmen wie die Bildungsarbeit aber auch die Sensibilisierung für das Thema dazu beitragen, dass Vorurteile abgebaut werden und Toleranz zur Diversität gefördert wird.

In Bildungseinrichtungen ist es wichtig, dass Antisemitismus und antisemitische Tendenzen umfassend thematisiert werden. Dies kann zur Prävention beitragen. Hierzu ist es nötig, dass Lehrkräfte ganzheitlich qualifiziert werden, um die Entwicklung einer demokratischen Schulkultur zu fördern.

Doch auch die Jugendhilfe kann durch Schulungen und Bildungsmaßnahmen erlernen, wie sie sensibel über den Holocaust, die Geschichte des Antisemitismus und die jüdische Kultur aufklärt.
Eine Zusammenarbeit mit jüdischen Organisationen und anderen relevanten Akteuren kann dazu beitragen, dass das Verständnis und der Dialog zwischen verschiedenen Gruppen gefördert werden. Diese Kooperation kann erreichen, dass Jugendliche die Anzeichen von Antisemitismus frühzeitig erkennen und somit Vorurteile nicht weiter vertieft werden. Eine ganzheitliche und effektive Vorgehensweise erfordert die Zusammenarbeit von Fachkräften der Jugendhilfe, jüdischen Gemeinden und anderen wichtigen Akteuren.

3. Fragen zum Weiterdenken

  • Werden in unserer Einrichtung bereits pädagogische Maßnahmen durchgeführt, die dazu beitragen, antisemitische Vorurteile bei jungen Menschen abzubauen?
  • Welche Unterstützung und Ressourcen stehen Fachkräften zur Verfügung, um sich effektiv mit dem Thema Antisemitismus auseinanderzusetzen und sich weiterzubilden?
  • Woran erkennen wir als Fachkräfte antisemitische Tendenzen? Wie können wir angemessen darauf reagieren?
  • Welche Netzwerke und Kooperationsmöglichkeiten stehen Fachkräften zur Verfügung, um sich mit anderen Fachleuten auszutauschen und voneinander zu lernen?
  • Welche spezifischen Anzeichen von Antisemitismus sollten Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe erkennen können, um angemessen darauf reagieren zu können?
  • Wie können Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe die erworbenen Kenntnisse über jüdisches Leben in Deutschland in ihrer täglichen Arbeit mit jungen Menschen einsetzen, um Vorurteile und Stereotypen zu bekämpfen?

4. Lösungsvorschläge

Antisemitismus ist ein komplexes Phänomen, das verschiedene Ebenen der Intervention erfordert. Hier soll anhand eines konkreten Vorschlags verdeutlicht werden, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um gegen Antisemitismus in der Kinder- und Jugendhilfe vorzugehe

In Deutschland läuft seit dem Jahr 2020 das Projekt „Sichtbar Handeln! Gegen Antisemitismus“ unter der Leitung des ConAct-Koordinierungszentrums Deutsch-Israelischer Jugendaustausch. Seit dem Jahr 2023 wird dieses Projekt zudem vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziell unterstützt. Das Hauptziel dieses Projekts besteht darin, einen Lern- und Diskussionsraum für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland zu schaffen, um einen sicheren Umgang mit antisemitischen Äußerungen zu ermöglichen. Im Rahmen dieses Projekts sollen Fachkräfte ihr Wissen und ihre Erfahrungen über jüdisches Leben in Deutschland sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart erweitern.

Gemäß dem Konzept „Bildung in Deutschland – Begegnung mit Israel“ wird das Lernen im Bereich des Antisemitismus durch eine Begegnungsreise in die vielfältige Gesellschaft Israels ergänzt. Diese Reise soll dazu dienen, dass Fachkräfte durch Kurse Wissen erwerben, ihre Perspektiven erweitern und fachliche Gespräche mit Ansprechpartnern vor Ort führen können.

Das Projekt hat das Ziel, Fachkräfte im Bereich Jugendhilfe, Jugendsozialarbeit und Jugendbildungsarbeit bundesweit zu erreichen. Diese Fachkräfte sind täglich in ihrem beruflichen Kontext mit jungen Menschen in Kontakt. Das Projekt richtet sich insbesondere an Fachkräfte, die bisher wenig Berührungspunkte mit der deutsch-jüdisch-israelischen Begegnungsarbeit hatten. Darüber hinaus sollen auch Fachkräfte erreicht werden, die mit benachteiligten Jugendlichen arbeiten oder aufgrund persönlicher Geschichten junge Menschen betreuen, die eine kritische Haltung gegenüber Israel haben.

Der Fokus des Projekts liegt auf der intensiven Interaktion zwischen den Gesprächspartnern in Israel und den Fachkräften der Jugendhilfe aus Deutschland. Das Projekt strebt an, interessierten Fachkräften die Möglichkeit zu bieten, jungen Menschen in ihrer Zielgruppe eine Annäherung an Israel zu ermöglichen, und somit einen nachhaltigen Beitrag zur Bekämpfung von Antisemitismus zu leisten.

Im Rahmen des Deutsch-Israelischen Jugendaustauschs kooperiert ConAct, das Koordinierungszentrum für diesen Austausch, eng mit der Israel Youth Exchange Authority. Das gemeinsame Ziel besteht darin, den bereits etablierten fachlichen Diskurs zur bildungspolitischen Arbeit mit einem Schwerpunkt auf der Diskriminierungskritik zu intensivieren und verstärkte Anstrengungen zur Bekämpfung des Antisemitismus in den Mittelpunkt der bilateralen Kooperation zu stellen. Diese Initiative wird vor dem Hintergrund der historischen Bürde des Nationalsozialismus sowie angesichts der zunehmenden Verbreitung antisemitischer und israelfeindlicher Einstellungen in Deutschland ins Leben gerufen. Die vorliegende Arbeit hebt hervor, dass dieses Projekt das Bestreben unterstreicht, den Handlungsraum zur Bekämpfung des Antisemitismus verstärkt in eine bilaterale Perspektive einzubetten. In dieser Hinsicht verfolgt das Projekt das übergeordnete Ziel, Bildungsinitiativen gegen Antisemitismus in Deutschland enger mit den Aktivitäten im Rahmen des deutsch-israelischen Austauschs und Kooperationsprojekten zu verknüpfen.

5. Material/ Links

Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus (2023): https://www.antisemitismusbeauftragter.de/Webs/BAS/DE/bekaempfung- antisemitismus/was-ist-antisemitismus/was-ist-antisemitismus-node.html [19.09.2023]

Bundeszentrale für politische Bildung (2020): https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier- antisemitismus/37944/was-heisst-antisemitismus/ [19.09.2023]

IjAB Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V. https://ijab.de/themen/demokratie-und-menschenrechte/aktuelle-beitraege-zu-demokratie-und-menschenrechten/antisemitismus-jugendarbeit-ist-gefordert [19.09.2023]

Sichtbar Handeln gegen Antisemitismus: https://sichtbar-handeln.org/ueber-das-projekt/ [19.09.2023]

 

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