Übermäßiger Medienkonsum

1. Beschreibung der Herausforderung

Medien sind ein integraler Bestandteil der Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Wenn Medien angemessen genutzt werden, können sie eine große Bereicherung für die Kinder und Jugendlichen sein. Durch Medien ist man weltweit vernetzt, kann eigene Kontakte mit Freund*innen und der Familie halten, man kann sich Informieren und kreativ ausleben sowie auch unterhalten lassen. Die Nutzung von Medien hat grundsätzlich das Potenzial, sich positiv auf die Entwicklung von Kindern auswirken. Sie fördern die Kreativität, das Leseverständnis und die Empathie. Aber Mediennutzung kann in Familien und Wohngruppen auch zu Konflikten führen. Was kann ich tun, wenn ein Kind den Computer nicht ausschalten will, wie kann ich den täglichen Streit um die Handynutzung am Frühstückstisch beilegen? Der übermäßige Medienkonsum zeigt die Schattenseiten der unbegrenzten medialen Optionen auf, aber warum findet er statt und was kann man dagegen tun?

Erstmal muss die Fragen beantwortet werden, was übermäßiger Medienkonsum überhaupt ist. Übermäßiger Medienkonsum findet nach Einschätzung von Wido Geis statt, wenn jemand pro Tag mehr als vier Stunden von Medien Gebrauch macht und zudem das Medium länger benutzt als er/sie sich ursprünglich vorgenommen hat. Wichtig ist zu unterscheiden, ob die Mediennutzung selbstbestimmt ist, oder nicht. Nur wenn sie nicht selbstbestimmt ist, gilt sie als übermäßiger Medienkonsum. Allerdings ist diese Faustregel von mehr als vier Stunden mit Vorsicht zu betrachten, denn die durchschnittliche Dauer der Mediennutzung ist ebenso in ständiger Veränderung wie die Bewertung normaler und nicht angemessener Mediennutzung. Außerdem sind die Grenzen angemessenen Medienkonsums altersabhängig und individuell sehr unterschiedlich.

Der Medienkonsum kann die individuellen Interessen von Kindern und Jugendlichen fördern und die intensive Beschäftigung mit Medien kann eine Lieblingsbeschäftigung sein mit der gleichen Berechtigung, wie z.B. der Sport. Darüber hinaus lassen sich durch manche Medien, wie zum Beispiel Videospiele, die man mit anderen spielt, die Teamfähigkeit und die Konfliktfähigkeit stärken. Der Austausch mit Gleichaltrigen kann teilweise nur über die Sozialen Netzwerke passieren. In diesen Fällen überschreiten Kinder oder Jugendliche ggf. die angemessene Mediennutzungszeit, aber solange sie es selbstbestimmt tun, kann es für das Kind oder den Jugendlichen förderlich sein.

Der „Nummer gegen Kummer e.V.“ stellt strengere Zeitbegrenzungen für die Mediennutzung auf. Sie hat eine Übersicht erstellt, die Eltern und Fachkräften helfen kann einzuschätzen, wie viel Medienkonsum für ein Kind pro Tag angemessen sein kann.

unter 6 Jahren

30 Minuten täglich

6 bis 9 Jahre

60 Minuten täglich

10 bis 12 Jahre

75 Minuten täglich/9 Std. wöchentlich

Obwohl ein höherer Medienkonsum als in der Tabelle angeben, nicht unbedingt schädlich oder dramatisch ist, kann man sagen, dass es für Kinder- und Jugendliche wichtig ist, einen selbstbestimmten, begrenzenden Medienumgang zu erlernen, schließlich ist unser Alltag auch im späteren Leben als Erwachsene eng mit der Nutzung von Medien verbunden. 

2. Unterschiedliche fachliche Argumente/ Bedenken

Um angemessen mit Medien umgehen zu können ist neben der Förderung von Medienkompetenz der Aufbau von sozialen und emotionalen Kompetenzen des Kindes sowie die Förderung von attraktiven Beschäftigungsangeboten außerhalb der virtuellen Welt bedeutsam. Kinder und Jugendliche haben oft Schwierigkeiten, wenn ihnen der Zugang zu ihrem Lieblings-Medium verboten wird, weil sie keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten kennen. Hier kann es helfen, wenn Erwachsene mit Kindern etwas zusammen unternehmen, um so eine alternative Beschäftigung zu teilen. 

Wichtig ist auch, dass die Begrenzung der Mediennutzung, gerade bei Jüngeren, nicht als Erziehungsmaßnahme missbraucht wird. Denn wenn man beispielweise Kinder erst Fernsehen lässt, wenn sie die Hausaufgaben gemacht haben, dann bekommt das Medium dadurch einen höheren Stellenwert und wird für die Kinder attraktiver. Den gleichen Effekt hat oft auch das Verbot des entsprechenden Mediums. Ein grundsätzliches Verbot von Medien ist unrealistisch und nicht konsequent durchsetzbar. Der Pädagoge Heinz Moser betont, dass der Alltag der Kinder und Jugendlichen genau wie der von Erwachsenen mit Medien durchsetzt ist und deswegen gar nicht auf sie verzichtet werden kann. Zudem ist die übermäßige Mediennutzung häufig nur eine Reaktion auf eine Problemsituation, in der sich das Kind oder der Jugendliche befindet. Somit wäre das Verbot auch nicht die Lösung für dieses anderweitige Problem und würde im schlimmsten Fall dazu führen, dass die/der Betroffene auf eine andere Reaktion (wie übermäßigen Alkoholkonsum) ausweicht.

Warum nutzt mein Kind Medien?


Es ist wichtig, im Hinterkopf zu behalten, dass Medien nicht grundlos von den Kindern und Jugendlichen stundenlang genutzt werden. Sie nutzen sie, um damit ihre Bedürfnisse zu befriedigen. In der Regel haben Medien für Kinder und Jugendliche auch versteckte Funktionen. So wird beispielweise Musik nicht nur zur Beschäftigung gehört, sondern dient Jugendlichen gleichzeitig als Emotionsregulation. Die Mediennutzer*innen könnten mit Hilfe der Medien Orientierung, Anerkennung durch Gleichaltrige oder die Abgrenzung von der Erwachsenenwelt anstreben.

Gerade, weil übermäßiger Medienkonsum oft in einer Problemlage des Kindes oder des Jugendlichen begründet ist, ist es wichtig, nicht vorschnell den übermäßigen Konsum zu verurteilen. Stattdessen gilt es zusammen mit dem Kind oder Jugendlichen mehr über den Nutzen zu reden, den ihm/ihr der Medienkonsum bringt und diesen gemeinsam zu reflektieren.  In diesem Kontext kann es hilfreich sein, Umfang und Problematik des Medienkonsum von einer Expert*in einschätzen zu lassen und eine mögliche psychische Störung ebenfalls ausschließen zu lassen.

Die Suchtgefahr, die von Medien ausgeht

Eine Mediensucht unterscheidet sich deutlich von substanzabhängigen Süchten wie der Alkoholsucht. Die psychischen und körperlichen Folgen sind bei einer Alkoholabhängigkeit in der Regel viel dramatischer und bei einer Mediensucht wird eher nur eine geringe körperliche Abhängigkeit festgestellt. Trotzdem wurden mittlerweile Kriterien für die „Internetsucht“ aus den herkömmlichen Suchtkriterien abgeleitet. Die Kriterien sind nur eine Hilfe, reichen aber nicht aus, um eine Sucht festzustellen. Stattdessen kann man mit ihnen mögliche Anzeichen früher erkennen.

Kriterien für Sucht können zum Beispiel sein:

  • Häufiger, unwiderstehlicher Drang, ins Internet einzuloggen, Kontrollverluste (länger als intendiert online zu sein),
  • einhergehend mit Schuldgefühlen und negativer sozialer Auffälligkeit im engsten Umkreis sowie Streit aufgrund der Internetnutzung.
  • nachlassende Arbeitsfähigkeit
  • Verheimlichung des Ausmaßes der Online-Zeiten,
  • „Entzugserscheinungen“ in Form von Unruhe und Nervosität bei Verhinderung der Internetnutzung sowie mehrfache vergebliche Versuche der Einschränkung.
  • Die eigene Internetnutzung ist nicht mehr als Resultat selbstbestimmter Entscheidung erfahrbar, sondern wird als eine gewisse Form von Fremdsteuerung erlebt.

3. Fragen zum Weiterdenken

  • Manche Expert*innen schlagen vor, mit dem Kind einen Vertrag auszuhandeln, um Verhaltensweisen zu ändern. Andere, wie bspw. der bekannte Kinderpsychologe Bruno Bettelheim vertreten die Meinung, dass jeder Vertrag die liebevolle Beziehung zwischen Eltern bzw. Erzieher*innen und Kinder stört. Wie stehen sie zum Einsatz eines Vertrages zwischen Erwachsenen und Kindern, um die Mediennutzung in angemessene Bahnen zu lenken?
  • Medien können als Erziehungsmittel eingesetzt werden. Sie können verboten werden, als Beschäftigung eingesetzt werden oder eine Belohnung sein. Wie sehen sie diese drei Varianten des Medieneinsatzes in der Erziehung?
  • Reflektieren sie ihre eigene Mediennutzung im Kindes- und Jugendalter. Legen sie ein Augenmerk darauf, wie dies ihre Bewertungsgrundlage der Mediennutzung anderer beeinflussen könnte.
  • Diskutieren Sie, welche Regeln der Mediennutzung sie aus ihrer Kinder und Jugendphase kennen. Finden sie diese im Rückblick gelungen, um ihr Medienverhalten auf einen angemessenen Weg zu bringen?

4. Lösungsvorschläge

Bei Kindern kann es helfen einen ‚Vertrag‘ zusammen mit den Erwachsenen zu entwickeln, in dem die Mediennutzung (bspw. die täglichen Mediennutzungszeiten) festgelegt wird. Ein Vertrag gibt beiden Seiten eine Handlungsgrundlage und kann so die alltägliche Mediennutzung regulieren. Dies kann verhindern, dass die Mediennutzung jeden Tag wieder zu einem Streit führt. Außerdem gibt es den Erwachsenen die nötige Sicherheit, Konsequenzen für übermäßigen Nutzen durchzusetzen. Wichtig ist, dass in dem Vertrag auch die Rechte des Kindes gegenüber den Eltern thematisiert werden. So dürfen bspw. die Erwachsenen nicht einfach den Stecker des Computers rausziehen, wenn das Kind gerade ein Spiel spielt.

 

Finden Sie zusammen mit ihrem Kind den Zweck heraus, den der Medienkonsum für das Kind hat. Die übermäßige Mediennutzung hat fast immer dahinter liegende Ursachen, die befriedigt werden müssen, bevor die übermäßige Nutzung abnimmt.  

Seien sie ein gutes Vorbild. Erwachsene verhalten sich mitunter, ohne es zu wissen, nicht vorbildlich, wenn sie beispielweise ihre Arbeitsmails beim Frühstück checken oder am Tisch Zeitung lesen, anstatt sich zu unterhalten. Kinder werden sich von Ihnen diese Verhaltensweisen abschauen und es ist auch nicht verständlich für das Kind, wenn für die Erwachsenen andere Regeln gelten, als für sie selbst. Achten Sie deswegen darauf, sich zusammen mit dem Kind an bestimmte Mediennutzungsregeln zu halten oder erklären Sie die Notwendigkeit ihrer „regelwidrigen“ Nutzung.

Werfen sie ihrem Kind nicht vor „süchtig“ zu sein, sondern klären sie vorher, ob ein suchtähnliches Verhalten vorliegt. Sonst fühlen sich Kinder und Jugendliche schnell missverstanden und wenden sich im Notfall nicht mehr an ihre Ansprechpartner*innen.

5. Material/ Links

Kammerl, Rudolf (2009): „Du bist doch süchtig!“ Exzessive Nutzung von Computerspielen und Internet durch Kinder und Jugendliche. Eine Herausforderung an die elterliche Kontrolle? In: Rautenberg, Ursula, Titel, Volker (Hrsg.): Medien unter Kontrolle. Universität Erlangen-Nürnberg

Moser, Heinz (2019): Einführung in die Medienpädagogik. Aufwachsen im digitalen Zeitalter. 6. Aufl. Wiesbaden: Springer VS.

Links zu weiteren Karten:

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