Nähe vs. Distanz
1. Beschreibung der Herausforderung
Die richtige Balance zwischen Nähe und Distanz zu finden, ist schwierig. Es gibt keine Faustregel, die besagt, wie viel Nähe und wie viel Distanz ein Mensch benötigt oder aber er seinem Gegenüber geben soll. Jeder Mensch hat ein eigenes Bedürfnis und seine eigene Grenze, wenn es um diese Thematik geht.
Das Empfinden und die individuelle Auslegung dieser Gegenpole können in unterschiedlichen Kontexten verschieden sein. So kann es beispielsweise sein, dass wir uns in einer Liebesbeziehung mehr Nähe wünschen, als in einer Freundschaft. Auch unsere Grenzen können in jedem Kontext unterschiedlich definiert sein. In einer Freundschaft wünschen wir uns eventuell weniger Distanz als in einer Arbeitsbeziehung.
Oft signalisieren wir unserem Gegenüber unsere Bedürfnisse und Grenzen und können mit der Zeit einschätzen, wie wir uns optimalerweise verhalten sollten. Kindern fällt dies aber schwer, sie können nicht einschätzen, wie viel Nähe/Distanz ihr Gegenüber akzeptiert und braucht und wie viel in welchem Kontext angemessen ist. Im professionellen Kontext zwischen einer Fachkraft und einem Kind ist die Reflexion von Nähe- und Distanzerfahrungen besonders wichtig, denn die Gestaltung von Beziehungen wird hier nicht nur durch persönliche, individuelle Bedürfnisse und Grenzen, sondern auch durch fachliche, konzeptionelle, institutionelle und rechtliche Ansprüche und Rahmenbedingungen bestimmt.
2. Unterschiedliche fachliche Argumente/ Bedenken
In der Psychologie zeigt insbesondere die Bindungstheorie, dass Nähe und emotionale Wärme grundlegende Elemente in der Entwicklung eines Kindes sind. Auch in der Beziehung zwischen Fachkraft und Kind ist ein gewisses Maß an Nähe unabdingbar um eine tragfähige Beziehung aufzubauen. Ein angemessenes Maß an Nähe kann die Beziehung zwischen Fachkraft und Kind insofern positiv beeinflussen, dass es Vertrauen stärkt und die Zusammenarbeit verbessert.
Gerade in Krisensituationen, bei Schmerz, Trennung und Abschied von engen Bezugspersonen – also z.B. beim Einzug in eine Kinderwohngruppe – haben Kinder oft ein starkes Bedürfnis nach Nähe, wollen kuscheln, gehalten, umarmt werden. Was ist dann angemessen: abendliches Vorlesen – gar im Bett?
Offenkundig ist es auch wichtig, als Fachkraft Distanz zu den Kindern und Jugendlichen zu wahren, um ein professionelles Handeln gewährleisten zu können. Bei zu viel Nähe könnte es passieren, dass die Fachkraft die Themen der Kinder zu sehr und zu emotional an sich heranlässt, bei zu viel Distanz zum Kind, könnte dem Kind jedoch zu wenig Empathie entgegengebracht werden und es könnte sich nicht wertgeschätzt fühlen. Das Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz gilt deswegen auch als ‚die‘ Antinomie der Sozialen Arbeit Nähe ist wichtig, um die Kinder, Jugendliche und Klient*innen ganz allgemein in ihrer Lebenssituation zu unterstützen; für ein professionelles Handeln ist jedoch auch ein gewisses Maß an Distanz unabdingbar. Demnach ist es also bedeutend, dass die Fachkraft sich ihrer Rolle, also der Arbeitsbeziehung gegenüber den Kindern bewusst ist. Weil der institutionelle und rechtliche Rahmen einer Einrichtung- beziehungsweise eines Trägers- dem individuellen Bedürfnis von Nähe und Distanz Grenzen setzt, können Fachkräfte den Kindern also nicht immer das Maß an Nähe geben, das sie sich wünschen würden, insbesondere bezogen auf das Bedürfnis nach körperlicher Nähe.
3. Fragen zum Weiterdenken
- Welche Erfahrungen hat das Kind bereits mit Nähe/Distanz gemacht? Welche Informationen erhalte ich aus seiner Akte/Biographie?
- Wie gestaltet sich meine Beziehung zu diesem Kind? Gibt es Unterschiede zu den Beziehungen zu anderen Kindern und sind diese gut begründbar?
- Habe ich eine persönliche Grenze, was Nähe und Distanz angeht? Wenn ja, wo liegt diese Grenze? Thematisiere ich vor den Klient*innen wo meine Grenzen sind? Thematisiere ich meine Bedürfnisse?
- Gebe ich den Kindern die Möglichkeit, ihre Grenzen und Bedürfnisse zu äußern? -Respektiere ich die Bedürfnisse und Grenzen der Kinder?
- Wie gehe ich damit um, wenn ein Kind zu viel Nähe einfordert?
- Was sollte in der Einrichtung für alle gelten – was ist erlaubt, was nicht?
4. Lösungsvorschläge
Allgemein ist es wichtig, jedes Kind individuell zu betrachten und seine Bedürfnisse, Wünschen und Grenzen bezüglich der Thematik wahrzunehmen. Hierbei sollte eine offene Kommunikation stattfinden, sodass Fachkraft und Kind sich stets über ihre individuellen Empfindungen zum Thema Nähe und Distanz austauschen können und ihren Standpunkt vertreten.
Um ein angemessenes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz aufrechtzuerhalten, ist es wichtig, sich stets selbst zu reflektieren und die eigene Beziehung zum Kind immer wieder zu hinterfragen und zu überprüfen. Ebenso wichtig ist es, Gedanken, Beziehungsmuster und Problematiken im Team zu besprechen, um sich die Meinung Dritter einzuholen und gemeinsam zu reflektieren.
5. Material/ Links
Nähe und Distanz- was brauchen Kinder, damit Beziehung gelingt? :
https://www.katholisches-netzwerk-kinderschutz.de/fileadmin/user_mount/PDF-Dateien/Seelsorge/KNK/2014Netzwerk_VortragEnderlein.pdf
Nähe und Distanz im pädagogischen Alltag der Kinder- und Jugendarbeit: https://www.calaidoskop.de/fortbildung/naehe-und-distanz-im-paedagogischen-alltag-der-kinder-und-jugendarbeit-hilfe/#.YFDen9wxlEY
Nähe und Distanz- ein Spannungsfeld pädagogischer Professionalität: https://www.beltz.de/fachmedien/erziehungs_und_sozialwissenschaften/buecher/produkt_produktdetails/39802-naehe_und_distanz.htm