Geschlechtsspezifische Erziehungserwartungen
1. Beschreibung der Herausforderung
Sehr lange Zeit war es üblich, Kinder geschlechtsspezifisch zu erziehen. Kinder wurden anhand ihres biologischen Geschlechts grundsätzlich in männlich/weiblich unterteilt. Mit dieser Unterteilung wurden bestimmte Erwartungen an die Entwicklung gestellt. Mit den Geschlechterrollen wurden beispielsweise bestimmte Verhaltensweisen, Fähigkeiten sowie Interessen verknüpft und gefördert. Im sozialwissenschaftlichen Diskurs besteht mittlerweile der Konsens, dass Geschlechterrollen nicht angeboren sind, sondern anerzogen werden. In der modernen Erziehung sollten Kinder dementsprechend möglichst unabhängig vom Geschlecht bzw. ihre Geschlechtsrollen reflektierend behandelt werden.
Dabei rücken andere Geschlechtsidentitäten, zum Beispiel Inter- und Transgeschlechtlichkeit, immer mehr in den Fokus. Die tatsächliche Abkehr von den eigenen genderbezogenen Verhaltenserwartungen fällt vielen Eltern und Fachkräften allerdings oft schwer. Eltern und Fachkräfte haben selbst, eine mehr oder weniger ausgeprägte, geschlechtsspezifische Sozialisation erfahren, die sie oft, bewusst oder unbewusst, unreflektiert weitergeben. Dementsprechend sind geschlechtsspezifische Rollenklischees inklusive einer unterschiedlichen Erziehung von Mädchen und Jungen in unserer Gesellschaft noch weit verbreitet. Zumeist beginnt bereits in der Schwangerschaft, aber spätestens nach der Geburt die Einteilung in männlich oder weiblich. Mit dieser frühen Einteilung geht häufig eine unterschiedliche, geschlechtsabhängige Behandlung einher. Da werden Babys in rosa Kleidchen als Prinzessin bezeichnet, während der Bruder Pullover mit Superheldenaufdruck trägt und Rabauke genannt wird.
2. Unterschiedliche fachliche Argumente / Bedenken
Mittlerweile versuchen viele Fachkräfte und Eltern starre Geschlechterrollen aufzulösen und dafür zu sorgen, dass Kinder sich möglichst frei von vorgegebenen Rollenklischees entwickeln können. Wie dies angegangen wird, ist unterschiedlich. Manche versuchen Stereotype möglichst nicht zu fördern, zum Beispiel werden Jungs bewusst dazu animiert, mit Puppen zu spielen oder rosa zu tragen. Einige steuern einengenden Geschlechterrollen auch entgegen, indem sie Dinge wie „geschlechtstypische“ Spielzeuge und Kleidung komplett verbannen. In beiden Fällen sollten Sätze wie „typisch Junge“ oder „das macht ein Mädchen nicht“ definitiv ausgeschlossen werden.
Eine Geschlechtsrollen reflektierende Erziehung möchte Kindern die Chance geben, sich zunächst unabhängig vom biologischen Geschlecht und später dieses reflektierend zu entwickeln. Dabei sollen Kinder sich auszuprobieren, ohne von vorgegebenen Geschlechtszuschreibungen beeinflusst und in eine Rolle gedrängt zu werden. Kritiker*innen werfen der geschlechtsneutralen Erziehung Gleichmacherei und die Gefährdung von Identitäten durch die Auflösung von Geschlechterrollen vor. Darum geht es aber keinesfalls, im Gegenteil. Kinder sollen in ihrer Individualität gefördert und mit ihrer gesamten Persönlichkeit angenommen werden. Somit bekommen sie die Möglichkeit, irgendwann selbst zu entscheiden, ob und welche Geschlechterrollen sie annehmen möchten.
3. Fragen zum Weiterdenken
- In welchen Bereichen gebe ich eigene Rollenklischees an die Kinder weiter?
- Gibt es Situationen, in denen ich geschlechtsspezifische Erziehungserwartungen habe? (Beispiel „Mädchen sind leise“, „Jungs neigen dazu sich zu prügeln“, „Mädchen sind zickig“)
- Mache ich selbst vielleicht Aussagen, die Kinder bewusst in zwei Geschlechter aufteilen? (z.B. „Die Mädchen spielen gegen die Jungs“, „Mädchen und Jungen abwechselnd“) Wieso nehme ich diese Aufteilung vor? Welche Alternativen gibt es?
- Welche Art von Spielzeug bieten wir in unserer Einrichtung / unserem Zuhause an?
- Fördere oder lobe ich selbst (unterbewusst) „geschlechtstypisches“ Verhalten?
- Inwieweit wurde ich selbst von Geschlechterklischees geprägt? Wie habe ich Geschlechterrollen als Kind erlebt?
4. Lösungsvorschläge
Um geschlechtsneutrale bzw. Geschlechtsrollen reflektierende Erziehung leisten zu können ist (kritische) Selbstreflektion unabdingbar. Erzieher*innen müssen sich eigene Normen, Stereotypen, Ideale und Erfahrungen bewusst machen. Wenn Kinder Fragen zum Thema Geschlecht stellen, sollten Erzieher*innen versuchen, bei ihren Antworten möglichst vielfältige Identitäten und Lebensentwürfe darzustellen.
5. Material/ Links
Eine Einführung: Geschlechtsneutrale Erziehung: Wie geht das? | www.emotion.de (kostenlos)
Pinkstinks Germany: Reife Mädchen – Pinkstinks Germany , Broschüre „Rosa für Alle“ – Pinkstinks Germany , Buchtipps – Pinkstinks Germany
Die Broschüre „intersektionale Pädagogik“ gibt einen umfassenden Einblick zu verschiedenen Aspekten von Diskriminierung, Vielfalt und daraus resultierender Ungleichheit: http://www.i-paed-berlin.de/de/Downloads/#broschre (kostenlos)