Deeskalationstechniken im Umgang mit Diskriminierungserfahrungen

Deeskalationstechniken sind Methoden, die dazu dienen, Konflikte zu lösen, Spannungen zu reduzieren und eine (potenziell) aggressive Situation in eine gefahrenfreie umzulenken bzw. eine weitere Steigerung der Aggression gänzlich zu verhindern. Bei den Deeskalationstechniken handelt es sich eigentlich um eine Sammlung von Techniken, Methoden und Strategien, die bei der Deeskalation von Konflikten angewendet werden können. Sie finden sowohl in der Sozialen Arbeit, der Jugendhilfe, der Psychologie und dem Konfliktmanagement als auch in Schulen, im Gesundheitswesen, in der Strafjustiz und in zwischenmenschlichen Beziehungen Anwendung. Deeskalationstechniken sind auch im Umgang mit Diskriminierungserfahrungen hilfreich, da sie einen wichtigen ersten Schritt bilden, um Konflikte zu deeskalieren, den Dialog zu eröffnen und ein Bewusstsein für die Bedeutung von Respekt und Gleichbehandlung zu schaffen.


1. Beschreibung der Herausforderung

Das Hauptziel ist grundsätzlich, eskalierende Situationen zu entschärfen und Gewalt oder weiteren Konflikten entgegenzusteuern. Speziell im Umgang mit Diskriminierungserfahrungen können weitere Ziele aufgelistet werden:

  • Deeskalationstechniken bieten einen Rahmen, um Konflikte auf konstruktive Weise zu bearbeiten und (ggf.) zu lösen. Sie ermöglichen es den betroffenen und den beteiligten Personen, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, die auf gegenseitigem Respekt, Verständnis und Toleranz basieren.
  • Deeskalationstechniken sollen dazu beitragen, dass Personen, die die Diskriminierung erfahren, geschützt werden und angemessene Unterstützung erhalten.
  • Deeskalationstechniken geben den Betroffenen die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben und ihre Erfahrungen auszudrücken. Indem sie in den Lösungsprozess einbezogen werden, werden sie ermächtigt und gestärkt, ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen auszudrücken.
  • Deeskalationstechniken bieten die Chance, Missverständnisse zu klären und Vorurteile zu überwinden.
  • Durch den Einsatz von Deeskalationstechniken werden sowohl die betroffenen als auch die beteiligten Personen für die Auswirkungen von Diskriminierung sensibilisiert. Sie lernen, die Wirkung ihrer Worte und Handlungen auf andere Menschen besser zu reflektieren.
  • In der Umsetzung sollen Deeskalationstechniken eine Atmosphäre schaffen, in der ein respektvoller und konstruktiver Austausch über diskriminierende Erfahrungen möglich ist.
  • Durch den Einsatz von Deeskalationstechniken können Fachkräfte auf Diskriminierungen aufmerksam machen und ein Bewusstsein dafür schaffen. Indem Fachkräfte diskriminierende Äußerungen nicht ignorieren, sondern sie ansprechen und auf ihre Auswirkungen hinweisen, kann zur Sensibilisierung beigetragen und Veränderung angestoßen werden.

2. Unterschiedliche fachliche Argumente/ Bedenken

Eine gewisse Zahl von Deeskalationstechniken werden bereits in den Bereichen der pädagogischen und psychologischen Methoden und Modellen aufgegriffen, wie z. B. das aktive Zuhören, die gewaltfreie Kommunikation und Ich-/ Du-Botschaften. In der Umsetzung ist ein konkreter Ablauf oder das Einsetzen spezifischer Techniken nicht als fester Plan vorgegeben, weshalb es wichtig ist, in jeder Situation individuell auf die Eigenheiten der Beteiligten einzugehen und dabei die jeweiligen Bedürfnisse zu beachten. Beim Einsatz von Deeskalationstechniken im Umgang mit Diskriminierungserfahrungen können diese Punkte Anreize für die Umsetzung schaffen:

  1. Ruhe bewahren: um den Überblick zu behalten und sich nicht selbst in die Situation einzubringen oder von Beteiligten bzw. Aussagen provoziert zu werden.
  2. Aktives Zuhören: somit werden die Gefühle und das Anliegen der Betroffenen respektiert, was wiederum zu einer empathischen Atmosphäre beiträgt.
  3. Empathie zeigen: kann dazu beitragen, dass sich Beteiligte besser verstanden fühlen und in ihren Gefühlen und Äußerungen gehört und angenommen werden.
  4. Klare Kommunikation: ist entscheidend, um Missverständnisse zu vermeiden und die Situation zu deeskalieren.
  5. Grenzen setzten: um deutlich zu machen, dass diskriminierendes Verhalten nicht akzeptiert wird und vor allem um zu erklären, warum bestimmte Verhaltensweisen nicht toleriert werden.
  6. Rollentausch: kann dazu beitragen, dass das Gegenüber und dessen Gefühle, Ansichten und Positionen besser verstanden werden.
  7. Fakten basiertes Argumentieren: zur Verfügung gestellte Fakten und sachliche Informationen können helfen, falsche Annahmen oder Vorurteile zu widerlegen.
  8. Lösungszentriertes Vorgehen: eine gemeinsame Lösungsentwicklung kann dazu beitragen, die Spannungen zu reduzieren, der Dialog eröffnet wird und eine gemeinsame Basis für die Konfliktlösung gefunden wird.
  9. Kritische Selbstreflexion: kann im Nachhinein helfen, die eigene Rolle im Konflikt zu erkennen und gegebenenfalls das eigene Verhalten anzupassen.
  10. Eigenschutz bedenken: denn im Umgang mit unter Umständen aggressiven Personen besteht immer auch ein Potenzial für eine gefährliche Situation. Für eine erfolgreiche Deeskalation ist es wichtig, kritische Situationen und die damit verbundenen Risiken korrekt einzuschätzen.
  11. Weitere Hilfe einholen: wenn eine Situation außer Kontrolle gerät oder nicht allein bewältigt werden kann, ist es hilfreich, einen neutralen Mediator oder Vermittler hinzuzuziehen. Ebenso kann in kritischen Situationen das Einbeziehen von autorisierten Personen, wie der Polizei und weiteren Hilfsstellen nützlich bzw. rechtlich notwendig werden.

In der Umsetzung ist ebenfalls zu beachten, dass je früher deeskalierende Maßnahmen eingesetzt werden, desto besser können die entstehenden Situationen bewältigt werden. Daher ist es ratsam für Fachkräfte, auf bestimmte Signale bevorstehender Aggression oder Gewalt zu achten, diese könnten gesteigerte Unruhe, eine erhöhte Körperanspannung oder generell gesteigerte Tonhöhe und Lautstärke sein. Ebenso sollten Fachkräfte auf diskriminierende Äußerungen, Kommentare oder Witze direkt eingehen, um einer Eskalation von Situationen entgegenzuwirken.

 

Mögliche Übungen für Fachkräfte der Sozialen Arbeit in Bezug auf den Einsatz von Deeskalationstechniken sind unter anderem Achtsamkeitsübungen, Entspannungsübungen, Empathieübungen und Rollenspiele.

3. Fragen zum Weiterdenken

 

Nun folgt an dieser Stelle ein Rollenspiel im Hinblick auf diskriminierende Äußerungen, anschließend dazu folgen mögliche Reflexionsfragen.

 

Fachkraft (FK): Hey, ich habe mitbekommen, dass du dich vorhin mit einem anderen Jugendlichen gestritten hast und ihm gesagt hast „er soll zurück in den Dschungel gehen, wo er herkommt“. Setz dich, wir müssen darüber reden.

Jugendlicher (J): Boahr nee, wieso? Das war doch nur Spaß!

FK: Zunächst einmal interessiert mich, warum du solche Äußerungen gemacht hast. Kannst du mir erklären, was dazu geführt hat?

J: Na ja, ich war einfach sauer auf ihn.

FK: Mhh. Es ist wichtig zu verstehen, dass solche Äußerungen sehr verletzend sein können und absolut nicht akzeptabel sind. Sie können dazu führen, dass sich andere Menschen diskriminiert fühlen.

J: Ja na gut, ich weiß

FK: Gut, dass du das erkennst. Es ist wichtig, dass wir gemeinsam eine Lösung finden, um solche Konflikte zukünftig anders zu lösen. Lass uns jetzt den anderen Jugendlichen einbeziehen, damit wir das klären können. (Jugendliche setzen sich gegenüber.)

FK: (An den anderen Jugendlichen gerichtet) wie hast du dich in der Situation gefühlt?

Anderer Jugendlicher (AJ): Das war echt scheiße von dir. Ging nicht klar. Ich will gar nicht mehr hier in der Gruppe sein.

FK: verstehst du, wie sich der andere Jugendliche gefühlt hat?

J: Ja, ich versteh es jetzt. Das tut mir leid.

FK: Gut, dass du das erkennst. Jetzt könnt ihr beide nacheinander eure eigenen Perspektiven ausdrücken und darüber sprechen, wie ihr zukünftige Konflikte anders lösen könnt.

(Nun können sich die Jugendlichen abwechselnd ausdrücken und Lösungen vorschlagen. Die Fachkraft unterstützt sie dabei, eine gemeinsame Vereinbarung zu finden.)

FK: Ich sehe, dass ihr bereit seid, eine Lösung zu finden und eure Kommunikation zu verbessern. Eine Idee könnte sein, dass ihr euch in Zukunft mehr Zeit nehmt, um miteinander zu sprechen und Konflikte frühzeitig anzusprechen, bevor sie sich zu solchen Äußerungen entwickeln. Was haltet ihr von dieser Idee?

J: Okay. Ich denke, wenn wir unsere Meinungsverschiedenheiten rechtzeitig ansprechen, können wir Konflikte besser vermeiden.

AJ: Ja, das sollten wir definitiv versuchen. Ich möchte nicht, dass sich so etwas wiederholt.

FK: Das ist ein guter Ansatz. Es ist wichtig, dass ihr beide Verantwortung für eure Worte und Taten übernehmt und respektvoll miteinander umgeht. Ich stehe euch weiterhin zur Verfügung, falls ihr weitere Unterstützung oder Vermittlung benötigt.

 

  • Was waren die Herausforderungen und Erfolge dieses Szenario?
  • Welche anderen Deeskalationstechniken hätten in dieser Situation angewendet werden können?
  • Wie können Fachkräfte sicherstellen, dass die Vereinbarungen und Lösungen, die ihr getroffen habt, in die Praxis umgesetzt werden?

4. Fragen, Anpassungsmöglichkeiten und Kritik

In der Anwendung von Deeskalationstechniken, im Umgang mit Diskriminierungserfahrungen, ist es zum einen wichtig, die Techniken an die spezifischen Bedürfnisse und Kontexte anzupassen. Ebenso ist die Kombination aus Deeskalationstechniken und einer bewussten Auseinandersetzung mit strukturellen und systemischen Ursachen von Diskriminierung für eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema Diskriminierungserfahrungen wichtig. Mögliche Kritikpunkte könnten sich auf die Effektivität bestimmter Techniken oder die Begrenzungen dieser beziehen. Ebenso stellt die Motivation der Beteiligten für die Bearbeitung von Problemfällen einen wichtigen Faktor dar. Um den Umgang mit Diskriminierungserfahrungen und Deeskalationstechniken kontinuierlich zu verbessern, können folgende Reflexionsfragen helfen:

 

  • Welche Erfahrungen haben Sie bisher in ihrer Einrichtung mit Deeskalationstechniken gesammelt?
  • Konnten Sie auch im Umgang mit Diskriminierungserfahrungen Deeskalationstechniken einsetzen oder würden Sie diese in dem Prozess der Konfliktlösung überhaupt verwenden?
  • Gibt es bestimmte Situationen, in denen einzelne Techniken weniger effektiv wären?
  • Wie könnten in der Einrichtung Deeskalationstechniken weiterentwickelt und angepasst werden, um den individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden?

 

5. Material / Links

Christina Zitzmann und Alexandra Huber (2021): Gewaltprävention durch Bedrohungsmanagement: Erkennen, Einschätzen, Entschärfen. Weinheim: Beltz Verlagsgruppe.

Holger Pressel (2020): Umgang mit Gewalt am Arbeitsplatz: Prävention – Deeskalation – Nachsorge. Freiburg: Haufe-Lexware GmbH & Co. KG.

Institut ProDeMa: Deeskalationstraining (https://prodema-online.de/deeskalation/deeskalationstraining)

Mathias Schwabe (2019): Eskalation und De-Eskalation in Einrichtungen der Jugendhilfe: konstruktiver Umgang mit Aggression und Gewalt in Arbeitsfeldern der Jugendhilfe. 6. Auflage. Weinheim: Beltz Verlagsgruppe.

[Podcast] Deeskalation, Konfliktmanagement und SAGT mit Andreas Sandvoß (https://www.youtube.com/watch?v=RIa6QgL7pi0&ab_channel=BSGBildungsinstitutf%C3%BCrSozialesundGesundheit)

Kai Deliomini. YouTube Playlist rund um das Thema „Deeskalation“(https://www.youtube.com/playlist?list=PLMraXPRt7_rega04vBdDYpw2UeSsbK8pu)

 

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