Beleidigungen und respektloser Umgang

1. Beschreibung der Herausforderung

Die Alltagssprache und die Kommunikation in Familien sowie pädagogischen Einrichtungen haben sich in den letzten 50 Jahren verändert. Sie sind weniger formal und höflich und stärker individuell, informell und gefühlsbetont geworden. Wir alle drücken uns also spontaner und kreativer aus, als frühere Generationen. Zugleich aber sind wir empfindlich gegenüber Kränkungen, Zurückweisungen und Aggressionen und müssen permanent einschätzen, wo die Grenzen zwischen Humor und übergriffiger oder beleidigender Ansprache liegen.

Kinder und Jugendliche fangen bereits im Kindergarten diverse Schimpfwörter und Beleidigungen auf. Diese werden dann auch von ihnen verwendet, um auszuprobieren, wie weit man gehen kann und die Grenzen der anderen Personen auszureizen. Bis zu einem gewissen Maß ist es unter Freund*innen und Familie normal, Kraftausdrücke zu benutzen oder im Kindesalter verbale Rangeleien anzufangen. Auch von elterlicher oder erzieherischer Seite ist es normal, dass manchmal ein Schimpfwort rausrutscht, um ein Kind zu necken oder seine Wut rauszulassen. Das sollte dann auch den Kindern zugestanden werden. Dabei ist aber wichtig, dass die Ausdrücke oder der Umgang im Allgemeinen nicht beleidigend werden. Es ist Aufgabe der Erzieher*innen und Eltern, den Kindern und Jugendlichen einen respektvollen Umgang vorzuleben, um unangemessenem Verhalten vorzubeugen und bei Grenzüberschreitungen müssen sie diese thematisieren.

Gerade in Familien und Wohn-/Tagesgruppen geht es darum, gemeinsam eine Kultur der Kommunikation zu entwickeln, die den individuellen Bedürfnissen ihrer Mitglieder gerecht wird. Dabei gilt es ein Gespür für die richtige Balance von Witz, Reizung und Angemessenheit finden.

Respektvoller Umgang bedeutet, anzuerkennen, dass alle Menschen ein Recht auf eine eigene Meinung, Gefühle und Verhaltensweisen haben. Um Respekt auszudrücken, muss man lernen, sich gegenseitig achtsam wahrzunehmen und dem Gegenüber seine persönlichen Grenzen und Verletzbarkeiten aufzuzeigen.

2. Unterschiedliche fachliche Argumente / Bedenken

Respekt wird häufig mit Gehorsam gleichgesetzt. Sobald Kinder nicht auf die Erzieher*innen oder Eltern hören oder sie mal ein Schimpfwort benutzen, wird gesagt, sie seien respektlos. Es geht aber vielmehr um Wertschätzung, Anerkennung und darum, unvoreingenommen zu sein und Rücksicht auf seine Mitmenschen zu nehmen. Respektvolles Verhalten kann Kindern vermittelt werden, in dem Eltern und Erzieher*innen mit gutem Beispiel voran gehen. Sie können den Kindern Orientierung bieten, indem auch den Kindern Respekt entgegengebracht wird, man zum Beispiel Kompromisse eingeht und eine zu hierarchische Struktur und Kultur vermeidet.

Auch wenn Beleidigungen im Kindes und Jugendalter ein Stück weit dazu gehören, da sie ‚rebellieren‘ und ihre eigenen  Grenzen und die ihrer Mitmenschen austesten wollen, ist es wichtig, als Elternteil oder Erzieher*in das Gespräch zu suchen und einen klaren Standpunkt zu vertreten und zu vermitteln, dass ein beleidigendes Verhalten nicht toleriert werden kann. Moderne Pädagogen wie Wolfgang Bergmann und Thomas Gordon weisen darauf hin, dass die Gestaltung der Kommunikationskultur eine gemeinsame Aufgabe für Erwachsene und Kinder ist. Insofern liegt das Problem in der Regel nicht an der Respektlosigkeit der Kinder und Jugendlichen, sondern zugleich an der mangelnden Selbstdisziplin der Erwachsenen, permanent achtsam zu sein und an einer fairen Atmosphäre zu arbeiten.

Viele Erziehungsratgeber – z.B. von dem Kinderpsychiater Michael Winterhoff – vertreten die Position, dass Kindern die Fähigkeit zum Respekt gegenüber Eltern verloren gegangen sei, weil sie zu partnerschaftlich erzogen würden. Sie seien aufgrund einer dialogischen und partizipativen Erziehung im frühkindlichen Narzissmus stecken geblieben. Tatsächlich lässt sich beobachten, dass in manchen Kitas und Schulen, die sehr demokratisch und dialogisch orientiert sind, Kinder und Jugendliche wenig achtsam und respektvoll mit den Erwachsenen umgehen – mit den Gleichaltrigen aber sehr wohl. Insofern scheint es angebracht, dass Erwachsene und insbesondere Fachkräfte Respekt nicht nur Kindern gegenüber zeigen, sondern auch gegenüber sich selbst einfordern. Das Problem ist allerdings weniger der angebliche kindliche Narzissmus als vielmehr fehlender Mut und Konsequenz in einer partnerschaftlichen Erziehung Grenzüberschreitungen immer wieder anzusprechen und zu thematisieren.

In Konfliktgesprächen mit respektlosen, beleidigenden Kindern sollte ihnen Empathie entgegen- und damit auch beigebracht werden. Dadurch können sie nachvollziehen, wie sich das Gegenüber fühlt. Falls dieses Verhalten mehr als nur eine kurze rebellische oder pubertäre Phase ist, kann man versuchen, zu eruieren, welche Ursache es für dieses Verhalten des Kindes oder Jugendlichen gibt.

3. Fragen zum Weiterdenken

  • Was bedeutet Respekt bzw. respektloses Verhalten für Sie? Wie versuchen Sie, den Kindern und Jugendlichen Respekt zu vermitteln?
  • Wie gehen Sie in ihrer Einrichtung mit Beleidigungen und respektlosem Verhalten um? Welche Ideen haben Sie, um die Kultur und Atmosphäre in der Gruppe zu verbessern? Und wie beziehen Sie die Kinder in diese Arbeit ein?

4. Lösungsvorschläge

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